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Das Buch aus Blut und Schatten

Das Buch aus Blut und Schatten

Titel: Das Buch aus Blut und Schatten
Autoren: Robin Wasserman
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versicherte mir, dass Max nicht mit Absicht so merkwürdig sei und wenn niemand auf ihn achte, sei er fast normal. Was mich nicht weiter überraschte, denn Chris mochte einfach jeden.
    Und er verlor mit jeder Minute mehr an Glaubwürdigkeit.
    Der Hoff – den Spitznamen hatte Chris ihm letztes Jahr verpasst, als er sein Abschlussjahr an der Highschool mit jenem Joker abgesessen hatte, der in der Regel »Selbststudium unter Anleitung« genannt wird – ließ Das Buch herumgehen. »Unzählige Experten haben versucht, den Code zu knacken«, sagte er, während wir uns Seite um Seite geheimnisvolle Symbole ansahen. Es waren über zweihundert Seiten, nur unterbrochen durch kunstvolle Illustrationen von Blumen, Tieren und astronomischen Phänomenen, die es in der Realität offenbar gar nicht gab. »Historiker, Kryptografen, Mathematiker, die besten Codeknacker der NSA haben mit allem Möglichen experimentiert, doch das Voynich-Manuskript hat sein Geheimnis nicht preisgegeben. Mr Lewis!«
    Wir zuckten zusammen. Der Hoff knurrte wie ein Hund und ließ dabei zwei Reihen unregelmäßiger Zähne sehen, die so spitz wie Reißzähne waren und – seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen – demnächst wohl auch für einen ähnlichen Zweck eingesetzt werden sollten. »So geht man doch nicht mit einem wertvollen Buch um.«
    Max, der Das Buch wie ein Daumenkino durchgeblättert hatte, legte die Hände flach auf den Tisch. Die Augen hinter seiner Brille waren weit aufgerissen. »Entschuldigung«, flüsterte er. Abgesehen von einem leisen »Hallo«, das er zu mir gesagt hatte, als wir uns vorgestellt wurden, war es das erste Mal, dass ich ihn sprechen hörte.
    Ich räusperte mich. »Das ist kein wertvolles Buch«, sagte ich zum Hoff. »Das ist eine Kopie eines wertvollen Buchs. Wenn er sie ruinieren würde, könnte er die zwanzig Dollar dafür sicher ohne Weiteres zusammenkratzen.«
    Das Original mit dem siebenhundert Jahre alten, brüchigen Papier und der ausgeblichenen siebenhundert Jahre alten Tinte wurde in einer Bibliothek der Yale University aufbewahrt, hundertdreißig Kilometer weiter südlich, wo sich die Dozenten nicht mit studentischen Hilfskräften von der Highschool oder billigen Faksimiles begnügen mussten.
    Der Hoff schloss für einen Moment die Augen und ich vermutete, dass er sein Vorstellungsvermögen auf Reisen schickte und den Skandal wegwünschte, der ihn seine Professur in Harvard gekostet und für den Rest seiner akademischen Karriere in einem drittklassigen College in einer drittklassigen Collegestadt hatte stranden lassen.
    Danke, formte Max lautlos mit den Lippen, nur einen Moment bevor der Hoff die Augen öffnete und wieder seinen wütenden Blick auf ihn richtete.
    Â»Alle Bücher sind wertvoll«, sagte der Professor. Aber mehr kam nicht.
    Ich stellte fest, dass der Zimmergenosse gar nicht so übel war, wenn er lächelte.
    Die Besprechung dauerte noch eine Stunde, doch der Hoff gab seine unzusammenhängenden Ergüsse auf und beschränkte sich stattdessen auf die Organisation. Er erläuterte seine immens wichtige Forschung und unseren minimalen – »aber absolut notwendigen« – Beitrag dazu. Offenbar hatte er einer reichen Witwe gerade eine Sammlung von Briefen abgeschwatzt und war fest davon überzeugt, dass sie das Geheimnis zur Entschlüsselung Des Buchs enthielten. (Es war immer Das Buch, wenn er davon sprach, mit gedämpfter Stimme und einer Betonung, die eine Schreibung mit zwei Großbuchstaben implizierte, und wir machten es genauso, zuerst aus reiner Ironie, später dann aus Gewohnheit und widerwilligem Respekt.) Max und Chris sollten die Indexierung übernehmen, das Gros der Sammlung übersetzen und nach Hinweisen suchen. Ich dagegen bekam ein »Spezialprojekt« ganz für mich allein.
    Â»Die meisten Briefe stammen von Edward Kelley«, erklärte der Hoff. »Dem persönlichen Alchemisten des römischen Kaisers. Viele glauben, dass er Das Buch geschrieben hat. Aber ich glaube, dass sein Beitrag sowohl geringer als auch größer ist. Ich glaube, er hat es irgendwie in die Hände bekommen und entschlüsselt. Und wir werden jetzt in seine Fußstapfen treten.« Er deutete auf mich. »Miss Kane…«
    Â»Nora«, sagte ich.
    Â»Miss Kane, Sie übersetzen die Briefe, die von Kelleys Tochter, Elizabeth Weston,
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