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Das Buch aus Blut und Schatten

Das Buch aus Blut und Schatten

Titel: Das Buch aus Blut und Schatten
Autoren: Robin Wasserman
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erklärte, wie ich meine krausen Haare glätten konnte. Dann legte sie einen klassischen adrianesken Übergang zu einer Diskussion hin, bei der es um die tief verwurzelten kulturellen und ethnischen Aspekte bei der Entwicklung verschiedener Haarmoden ging und darum, wie man an unseren drei Frisuren, halbjüdisch, halbasiatisch beziehungsweise halbschwarz, die amerikanischen Rassenbeziehungen der letzten zweihundert Jahre ablesen konnte. Währenddessen tat Chris die ganze Zeit so, als würde er laut schnarchen. Einen Tag, an dem Chris, trunken vor Limonade und frisch gemähtem Gras, unser beider Hände nahm und ohne das sonst übliche Lachen in seiner Stimme sagte, dass alles anders sei, jetzt, wo wir einander hätten, dass alles besser sei. Und an diesem Tag, während die beiden schliefen, dieses Mal tatsächlich, da völlig ermattet von der Sonne, schlenderte ich an dem trüben Wasser entlang und steckte einen glatten grauen Stein ein, der wie der Fluss roch und den ich, wie den Tag, behalten wollte.
    Erst am nächsten Morgen vertraute Chris mir an, was sich ereignet hatte, während ich am Wasser gewesen war, wie sich zuerst ihre Hände und dann ihre Lippen gefunden hatten, wie sie den restlichen Nachmittag lang hinter meinem Rücken Blicke ausgetauscht und sich heimlich zugelächelt hatten, wissend, was ich nicht wusste, in gespannter Erwartung dessen, was geschehen würde, wenn ich gegangen war. Er war so glücklich und sie auch, denn später, vor meinem Schließfach, malte sie selig lächelnd mit den Fingerspitzen ein Herz auf den rostigen Stahl und ich freute mich für die beiden. Ich versuchte zu ignorieren, dass die beiden, während ich meinen perfekten Tag hatte, einen ganz anderen erlebten, zusammen. Ich redete mir ein, es sei gut, dass ich es nicht bemerkt hatte, dass alles so wie immer gewesen zu sein schien – dass es ein gutes Zeichen für die Zukunft war, was ja auch stimmte.
    Den Stein hatte ich noch. Aber er war nicht mehr derselbe.
    Der Nachthimmel vor dem Fenster überzog sich langsam mit einem perlmuttfarbenen Grau, ein Hinweis darauf, dass ich schlafen gehen sollte, solange ich noch die Möglichkeit dazu hatte. Doch ich machte weiter:
    Die Chorherren im Kloster Strahov haben mir gestattet, ihre Bibliothek zu benutzen, und morgens verliere ich mich oft in der Welt der Meister. In diesem Raum voller Stille fühle ich mich so zu Hause wie nirgendwo sonst in der Stadt, vielleicht, weil ich mir so leicht vorstellen kann, Dich an meiner Seite zu haben, während wir um die Wette lesen. Es scheint mir ganz unmöglich, dass Du diesen Ort gar nicht kennst, denn Dein Geist ist hier so deutlich zu spüren. Wenn ich mich für die Ewigkeit in diese behagliche Ruhe einhüllen könnte, trunken vor Worten, Ideen und Fragen, die zu stellen mir nie in den Sinn gekommen war, so versichere ich Dir, dass ich diesem meinem Leben in keinster Weise nachtrauern würde. Doch die Bibliothek auf dem Hügel ist nur eine Flucht auf Zeit. Unten wartet unsere Mutter. Die Stadt wartet, ihre Bewohner, die, so fürchte ich, noch genauso sind wie zu Deinen Zeiten, haben Schaum vor dem Mund, wenn sie sich über die haltlosen Zustände bei Hofe und belanglose Herzensangelegenheiten ereifern. Das Interesse an unserem hochgeschätzten Vater ist nicht erlahmt. Heute Morgen habe ich auf dem Markt zufällig mit angehört, wie sich zwei Fischweiber mit gedämpfter Stimme über den Zauberer unterhalten haben, der in einem Turm lebe und alle verfluche, die daran vorbeigehen. Er rede mit den Engeln, sagten sie, und habe in seinem Zorn einmal einen weinenden Säugling in einen schreienden Esel verwandelt. Ich musste lächeln, als mir klar wurde, über wen sie sprachen. Seine Macht und sein Mythos leben auch in seiner Abwesenheit weiter.
    Der Kaiser will meine Bitten nicht erhören und behält unseren weltlichen Besitz aus einer Laune heraus als Pfand. Johannes Leo, der Hofsyndikus, hat uns Hilfe angeboten und ich bin versucht, sein Angebot anzunehmen. Deine Bedenken ihm gegenüber mögen begründet sein, doch dass Du meinen Willen so gering schätzt, ist ungerecht. Er mag nicht der Hellste sein, doch die Sprache des Hofes hat er schnell gelernt und sich darüber hinaus wie eine Schlange die Gunst des Kaisers erschlichen. Du brauchst nicht zu befürchten, dass er sich die meine erschleicht.
    Ich werde jetzt schließen und bitte
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