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Das Böse kommt auf leisen Sohlen

Das Böse kommt auf leisen Sohlen

Titel: Das Böse kommt auf leisen Sohlen
Autoren: Ray Bradbury
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Weg des spiralförmigen Bandes zu verfolgen, zu sehen, woher es kam und wohin es verschwand. 
    Mr. Crosetti griff nach dem Lichtschalter unter dem Zeichen. 
    "Bitte, nicht", sagte Will. Dann fügte er leise hinzu: "Nicht ausschalten." 
    Mr. Crosetti betrachtete das Spiralband, als bemerke er jetzt erst das Wunderbare daran. Dann nickte er und sagte sanft, mit freundlichem Blick: "Wo kommt sie her? Wo geht sie hin? Wie? Wer weiß das schon? Du nicht, er nicht, ich auch nicht. Überall Geheimnisse, bei Gott. Schön. Lassen wir sie an." 
    Gut zu wissen, daß sie bis zum Morgengrauen weiterlaufen wird, dachte Will, aus dem Nichts, ins Nichts, während wir schlafen. 
    "Gute Nacht!" 
    "Gute Nacht." 
    Sie ließen ihn in einer Brise zurück, die ganz schwach nach Lakritze und Zuckerwatte roch. 

Fünftes Kapitel

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    Charles Halloway legte zögernd die Hand auf den  Türknopf, als hätten die grauen Haare auf seinem  Handrücken wie Antennen etwas gespürt, das draußen in  der Oktobernacht vorüberglitt. Vielleicht gab es  irgendwo lohende Brände, und ihr feuriger Atem warnte ihn. Oder eine neue Eiszeit kroch übers Land und deckte  in der Stunde eine Milliarde Menschen zu. Vielleicht  rann die Zeit selbst aus dem Stundenglas der Ewigkeit,  und danach folgte eine pulverisierte Finsternis, die alles  begrub. 
    Vielleicht war es aber auch nur der Mann im dunklen  Anzug, den er durch die Glastür der Kneipe auf der  anderen Straßenseite erblickt hatte. Der Mann hatte eine  große Papierrolle unter dem Arm, in der anderen Hand  Eimer und Bürste, und er pfiff leise eine Melodie. 
    Es war ein unzeitgemäßes Lied, das Charles Halloway  immer betrübt stimmte. Es paßte nicht in den Oktober,  aber es war zu jeder Jahreszeit, zu jeglicher Tageszeit  rührend und überwältigend.
    Hell hört' ich Weihnachtsglocken klingen 
    Und ihre alten Weisen singen. 
    So süß und laut, 
    Die Worte traut: 
    Friede auf Erden, Friede auf Erden! 
    Charles Halloway rann ein Schauder über den Rücken. 
    Da war es plötzlich wieder, dieses alte, schrecklich  erhebende Gefühl, daß man lachen und weinen zugleich  möchte, wenn man am Tag vor Weihnachten die  Unschuldigen dieser Erde durch die verschneiten Straßen  wandern sieht, zwischen all den müden Männern und  Frauen, deren Gesichter schmutzig vor Schuld und nicht  abgewaschener Sünde waren, zerschlagen wie kleine  Fenster, zertrümmert von den Hieben des Lebens, das  unversehens zuschlägt und zurückweicht, wieder  zuschlägt und immer wieder. 
    Lauter und tief die Glocke spricht: 
    Gott ist nicht tot, noch schläft er nicht! 
    Der Böse unterliegt, 
    Der Gerechte siegt! 
    Friede auf Erden, Friede auf Erden! 
    Das Pfeifen verklang. 
    Charles Halloway trat hinaus. Weiter vorn stand der  Mann an einem Telegrafenmast und arbeitete  schweigend. Dann verschwand er in der offenen Tür  eines Ladens. 
    Charles Halloway wußte auch nicht, warum er über die  Straße ging und dem Mann zuschaute, wie er eins seiner  Plakate im Fenster des leeren, unvermieteten Ladens  anbrachte. 
    Dann trat der Mann mit seiner Papierrolle, seinem  Eimer und dem Pinsel wieder aus der Tür. Sein wilder,  flackernder Blick richtete sich auf Charles Halloway. 
    Lächelnd hob er die Hand. 
    Halloway riß die Augen auf. 
    Die Handfläche war mit seidenweichem schwarzem  Haar bedeckt. Es sah aus wie... 

    Die Hand ballte sich zur Faust. Ein Winken, dann war der Mann um die nächste Ecke. Charles Halloway stand  benommen da, von Sommerhitze übergossen, schwankte,  dann drehte er sich um und warf einen Blick in den  leeren Laden. 
    Unter einer einzelnen Lampe standen nebeneinander  zwei Sägeböcke. Darüber lag wie ein Sarg aus Schnee  und Eiskristallen ein sechs Fuß langer Eisblock,  schimmernd wie von innen heraus, bläulichgrün gefärbt.  Ein großer, kalter Edelstein in der Dunkelheit. 
    Auf dem kleinen weißen Plakat im Fenster las er im  Licht der Lampe: 
    Cooger & Darks Pandämonium-Schattenspiele 
    Fantoccini, Marionettentheater, Bunter Rummelplatz!
    Demnächst in dieser Stadt. 
    Mit vielen Attraktionen, unter anderem auch 
    DIE SCHÖNSTE FRAU DER WELT! 
    Halloways Blick wurde von dem Plakat an der  Innenseite des Fensters magisch angezogen. 
    DIE SCHÖNSTE FRAU DER WELT! 
    Dann starrte er wieder auf den langen, kalten Eisblock. 
    An einen solchen Eisblock erinnerte er sich noch aus  Kindertagen; der Zauberer eines
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