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Das Boese in uns

Das Boese in uns

Titel: Das Boese in uns
Autoren: Cody Mcfadyen
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ins Gesicht.
    Sieht so aus, als wäre ich hier die Ballkönigin, geht es mir durch den Kopf. Aber warum?
    »Agentin Barrett«, sagt Rathbun in jenem Bariton, der sein Markenzeichen und politisch sehr vorteilhaft ist. »Danke, dass Sie so kurzfristig gekommen sind.«
    Sam Rathbun, normalerweise »Sir« genannt, ist für einen FBI-Chef eine durchaus erträgliche Mischung äußerer und innerer Qualitäten. Er hat das erforderliche gute Aussehen und den politischen Durchblick, doch er verfügt auch über polizeiliche Fronterfahrung. Er hat als Cop angefangen, nebenbei ein Abend-Studium in Jura absolviert und ist irgendwann beim FBI gelandet. Ich würde nicht so weit gehen, ihn »aufrichtig« zu nennen - sein hoher Rang verhindert diesen Luxus -, doch er lügt nur, wenn es unbedingt sein muss. Dem Vernehmen nach ist er ziemlich rücksichtslos, was mich nicht überraschen würde, und er soll ein Gesundheitsfanatiker sein. Er raucht nicht, trinkt nicht, verzichtet auf Kaffee und Cola und joggt jeden Morgen fünf Kilometer. Tja, jeder hat so seine Fehler.
    Ich muss den Kopf in den Nacken legen, um ihm in die Augen zu sehen. Ich bin nur knapp einsfünfzig; deswegen bin ich daran gewöhnt.
    »Überhaupt kein Problem, Sir«, lüge ich, dass sich die Balken biegen.
    Denn genau genommen war es ein Problem. Ein verdammt großes Problem sogar. Doch AD Jones ist derjenige, der die Nebenwirkungen zu spüren bekommt, wenn ich mich störrisch zeige.
    Rathbun nickt AD Jones zu. »Guten Tag, David«, sagt er. »Guten Tag, Sir.«
    Ich vergleiche die beiden Männer mit einigem Interesse. Sie sind ungefähr gleich groß. AD Jones hat braunes Haar, kurz geschnitten auf eine Weise, die sagt: »Ich hab keine Zeit, mich mit Äußerlichkeiten aufzuhalten.« Rathbuns Haar ist schwarz, durchsetzt mit grauen Strähnen und sorgfältig frisiert. Ein sehr attraktiver Mann in den besten Jahren, ein Macher durch und durch. AD Jones ist vielleicht zehn Jahre älter als Rathbun und hat mehr Falten um die Augen, während Rathbun aussieht wie jemand, der morgens joggt und seinen Sport liebt. Jones hingegen sieht aus wie jemand, der morgens joggen könnte und es vorzieht, stattdessen eine Zigarette zu rauchen und eine Tasse Kaffee dazu zu trinken - und zum Teufel mit jedem, dem das nicht passt. Rathbuns Anzug sitzt besser, und er trägt eine Rolex am Handgelenk. Jones trägt eine Uhr, für die er wahrscheinlich nicht mehr als dreißig Dollar bezahlt hat - vor zehn Jahren. Die Unterschiede sind also deutlich. Doch was mich trotz allem viel mehr interessiert, sind die Ähnlichkeiten der beiden.
    Jeder hat den gleichen müden Blick - einen Blick, den man bekommt, wenn man heimlich eine schwere Last zu tragen hat. Beide haben die Gesichter von Pokerspielern, die nie alles auf den Tisch legen.
    Zwei Männer, mit denen das Leben für eine Frau nicht einfach wäre, überlege ich. Nicht, weil sie schlechte Kerle wären, sondern weil sie davon ausgehen, dass man um ihre Liebe weiß, und das muss reichen. Liebe ja, Blumen nein.
    Director Rathbun wendet sich wieder zu mir. »Ich komme gleich zur Sache, Agentin Barrett«, sagt er. »Sie sind hier, weil ich gebeten wurde, Sie bei dieser Sache hinzuzuziehen. Von jemandem, dem ich diese Bitte nicht abschlagen kann.«
    Ich werfe einen raschen Blick zu AD Jones. Ich muss an seine Worte denken, Director Rathbun habe »einen Namen fallen lassen«.
    »Dürfte ich fragen von wem, Sir?«
    »Gleich.« Er nickt in Richtung der Leiche. »Sagen Sie mir, was Sie sehen.«
    Ich drehe mich zu der Toten um, konzentriere mich.
    »Eine junge Frau, Anfang zwanzig. Wahrscheinlich Opfer eines Verbrechens.«
    »Wie kommen Sie darauf?«
    Ich deute auf mehrere Blutergüsse am linken Oberarm der Toten. »Die Hämatome sind rot bis dunkelrot, sodass sie sehr frisch sein müssen. Sehen Sie die Umrisse der Finger? Die Hämatome wurden durch die Hand eines Menschen verursacht. Man muss sehr fest zupacken, um derartige Blutergüsse zu verursachen. Andererseits ist der Leichnam kalt. Das bedeutet, dass die Frau seit wenigstens zwölf Stunden tot sein muss, angesichts der Blutergüsse eher zwanzig Stunden - allerdings weniger als sechsunddreißig Stunden, denn das Opfer befindet sich noch im Zustand der Leichenstarre.« Ich zucke die Schultern. »Sie war jung, und jemand hat sie kurz vor ihrem Tod so fest am Arm gepackt, dass Spuren zurückgeblieben sind. Sehr verdächtig.« Ich blicke Rathbun mit einem schiefen Grinsen an. »Oh, beinahe hätte ich es
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