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Das Blut der Lilie

Titel: Das Blut der Lilie
Autoren: Jennifer Donnelly
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Schmerzen haben, Kleine. Tut’s weh?«
    Ich nicke. »Ja, Jimmy. Die ganze Zeit.«
    Â Â 3  
    Â»Miss Alpers?«
    Erwischt.Ich bleibe stehen. Dann drehe ich mich langsam um. Ich kenne
diese Stimme. Jeder in St. Anselm kennt sie. Es ist Adelaide Beezemeyer, die
Direktorin.
    Â»Haben Sie einen Moment Zeit?«
    Â»Nicht wirklich, Miss Beezemeyer. Ich bin auf dem Weg zum
Musikunterricht.«
    Â»Ich rufe Mr. Goldfarb an und lasse ihn wissen, dass Sie sich
verspäten. In mein Büro bitte.«
    Sie winkt mich nach drinnen und ruft Nathan an. Ich stelle
meinen Gitarrenkoffer ab und setze mich. Die Uhr an der Wand zeigt 15.01. Eine
kostbare Minute meines Unterrichts einfach vergeudet. Sechzig Sekunden Musik,
die unwiederbringlich verloren sind für mich. Meine Beine beginnen zu zittern.
Ich drücke auf die Knie, damit es aufhört.
    Â»Kamillentee?«, fragt Beezie beim Auflegen. »Ich habe gerade
eine Kanne gemacht.«
    Â»Nein, vielen Dank.«
    Ich sehe einen Ordner auf ihrem Schreibtisch. Mein Name steht
darauf – Diandra Xenia Alpers. Nach meinen beiden Großmüttern. Ich habe ihn in
Andi abgeändert, sobald ich sprechen konnte.
    Ich wende den Blick von dem Ordner ab – er kann nichts Gutes
heißen – und beobachte Beezie, die geschäftig umhergeht. Sie sieht aus wie ein
Hobbit – klein und struppig. Sie trägt immer Birkenstocksandalen, egal zu
welcher Jahreszeit, und lila Wechseljahre-Klamotten. Unerwartet dreht sie sich
um und sieht, dass ich sie beobachte, also lasse ich den Blick durch den Raum
schweifen. Auf dem Fensterbrett stehen Vasen, von der Decke hängen
Pflanzgefäße, auf einem Sideboard stehen Schalen – alle in verschiedenen Erdtönen
lasiert.
    Â»Gefallen sie Ihnen?«, fragt sie und macht mit dem Kopf ein
Zeichen in Richtung der irdenen Schalen.
    Â»Ziemlich beeindruckend.«
    Â»Sie sind von mir. Ich töpfere.«
    Wie meine Mom. Sie wirft das Zeug allerdings an die Wand.
    Â»Sie sind das Ventil für meine Kreativität«, fügt sie hinzu.
»Meine Kunst.«
    Â»Wow.« Ich deute auf ein Pflanzgefäß. »Das erinnert mich an Guernica.«
    Beezie lächelt. »Wirklich?«
    Â»Natürlich nicht.«
    Das Lächeln rutscht von ihrem Gesicht, fällt auf den Boden
und zerbricht.
    Jetzt schmeißt sie mich sicher raus. Ich würde es tun. Aber
sie tut es nicht. Sie stellt einen Teebecher auf den Schreibtisch und setzt
sich. Ich sehe wieder auf die Uhr. 15.04. Mein Bein zittert stärker.
    Â»Andi, ich komme gleich zur Sache. Ich mache mir Sorgen«,
beginnt sie und öffnet den Ordner. »Morgen fangen die Winterferien an und Ihr
Berater sagt, Sie hätten noch keine Collegebewerbung eingereicht. Keine
einzige. Sie haben auch noch keinen Entwurf zu Ihrer Abschlussarbeit abgegeben.
Hier sehe ich, dass Sie ein Thema gewählt haben … einen französischen Komponisten
aus dem achtzehnten Jahrhundert, Amadé Malherbeau … einer der ersten
Komponisten, der Gitarrenstücke verfasst hat.«
    Â»Für die sechssaitige Gitarre«, antworte ich. »Andere haben
für Lauten, Mandolinen, Vihuelas und Barockflöten komponiert.«
    Â»Interessant«, sagt Beezie. »Mir gefällt der Titel der Arbeit
… Wer ist dein
Daddy? Auf der Suche nach der musikalischen DNA von Malherbeau bis Jonny
Greenwood.«
    Â»Danke. Er stammt von Vijay. Er meinte, mein früherer Titel – Amadé Malherbeaus
muskikalisches Vermächtnis – sei nicht ansatzweise anspruchsvoll
genug.«
    Beezie geht darüber hinweg. Sie legt den Ordner beiseite und
sieht mich an. »Warum gibt es keinerlei Fortschritte?«
    Weil ich kein Interesse mehr daran habe, Miss Beezemeyer,
möchte ich sagen. Weder an Amadé Malherbeau, der Schule, dem College noch an
sonst einer Sache. Weil die graue Welt, in der ich die letzten zwei Jahre
mühsam überlebt habe, an den Rändern schwarz zu werden beginnt. Aber das kann
ich nicht sagen. Weil ich mir damit nur eine Überweisung in Dr. Beckers Praxis
für die nächste Runde geistabtötender Medikamente einhandeln würde. Ich wische
mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht, um Zeit zu schinden, und versuche, mir
eine Antwort einfallen zu lassen.
    Â»Mein Gott, Andi. Deine Hand«, sagt sie. »Was ist passiert?«
    Â»Bach.«
    Sie schüttelt den Kopf. »Es geht in erster Linie um den
Schmerz, nicht wahr? Das
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