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Das Blumenorakel

Das Blumenorakel

Titel: Das Blumenorakel
Autoren: Petra Durst-Benning
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sollen?«
    Ohne mit der Wimper zu zucken, hielt Lady Lucretia seinem Blick stand. »Diese Frage können nur Sie selbst beantworten.«

58 . K APITEL
    A uf Zehenspitzen spähte die Frau über die Köpfe der wartenden Menge hinweg die Lichtenthaler Allee entlang.
    Â»Weit und breit ist noch niemand von der feinen Gesellschaft in Sicht.« Unwirsch drehte sie sich zu ihrem Mann um. Dass sie Flora dabei ihren Ellenbogen in die Rippen stieß, schien die Frau nicht zu bemerken. »Und wenns auch die letzte Jagd der Saison ist – wenn sie jetzt nicht bald kommen, muss ich heim und mich um das Essen kümmern. Unsereins hat es schließlich nicht so gut wie die Herren Jäger. Wenn die nach ihrem Ausflug einkehren, stehen die feinsten Speisen bestimmt schon auf dem Tisch. Seppi, lass das!« Sie schlug einem etwa dreijährigen Buben, der wild an ihrem Rock zerrte, auf die Hand, was dieser mit lautem Gebrüll quittierte.
    Ihr Mann lachte. »Da magst du recht haben. Sag, was gibt es denn bei uns heute zu essen?« Er setzte sich das Kind auf die Schultern, woraufhin das Gebrüll erstarb.
    Flora lächelte den Buben an, der sich mit beiden Händen im Lockengewirr seines Vaters festklammerte.
    Â»Lungenbraten, Kartoffelbrei und Soße.«
    Â»Mit Zwiebeln?«
    Â»Natürlich mit Zwiebeln, ich weiß doch, wie sehr du die magst.« Die Frau warf ihrem Mann einen liebevollen Blick zu.
    Abrupt wandte sich Flora ab.
    Ob Friedrich mit Alexander wohl auch irgendwo hier stand? Hatte er den Buben ebenfalls auf den Schultern sitzen? Oder waren sie zu Hause und genossen das Sonntagsmahl, das Sabine gekocht hatte? Konnte Alexander inzwischen richtig mitessen? Sie musste Sabine beim nächsten Treffen unbedingt fragen.
    Es hätte nicht viel gefehlt, und Flora hätte losgeheult – wie immer, wenn sie an ihren Sohn dachte. Stattdessen reckte auchsie sich in die Höhe, um nach der Jagdgesellschaft Ausschau zu halten.
    Ach Konstantin, immer lässt du mich allein.
    Eigentlich hatte Flora gar nicht herkommen wollen, doch vor lauter Langeweile hatte sie es in ihrem Hotelzimmer nicht mehr ausgehalten. Als sie schließlich die Lichtenthaler Allee erreichte, waren die besten Plätze längst vergeben. Die großen sonntäglichen Jagden im Herbst waren stets ein glanzvolles Schauspiel, das viele Schaulustige anzog.
    Das Kopftuch wie immer tief in die Stirn gezogen, hatte sich Flora unter die große Menschenmenge gemischt.
    Ein Blatt rieselte herab und blieb auf Floras Schulter liegen. Fast zärtlich nahm sie es in die Hand.
    Herbstlaub … Schon immer hatte ihr Herz beim Anblick der ersten farbigen Blätter einen kleinen Hüpfer vollführt. Als Kinder hatten sie sich einen Spaß daraus gemacht, die größten und buntesten Blätter zu sammeln. Später hatte sie das Blätterwerk in ihre Herbststräuße eingebunden. Und im letzten Jahr hatte sie sogar das Schaufenster damit dekoriert – sehr zu Ernestines Unmut! »Kind, das sieht aus, als ob der Wind die Blätter in den Laden geweht hätte und du zu faul zum Fegen bist«, hatte sie Flora vorgeworfen. Den Kunden hatte es auch nicht sonderlich gefallen.
    Ach Ernestine, ich vermisse dich so sehr. Dich und Mutter und all die anderen.
    Flora schloss die Augen, als könne sie so vor ihren Gedanken flüchten. Seit Ewigkeiten hatte sie nicht mehr nach Gönningen geschrieben. Was hätte sie ihnen schreiben sollen? Lügen? Oder die Wahrheit, die so schrecklich war, dass Flora lieber schwieg? Wie würden sich die Eltern grämen, wenn sie wüssten … Aber vielleicht wussten sie längst alles, vielleicht hatte Friedrich ihnen geschrieben. Oder Ernestine.
    Tief sog Flora die klare Luft ein, die zugleich nach Laub und Pferdemist duftete, nach dem Holz der frisch gefällten Birken neben dem Weg, nach Kartoffelfeuern.
    Trunken vom würzigen Aroma riss Flora ihr Tuch vom Haarund hielt ihr Gesicht der Herbstsonne entgegen, die strahlenförmig durch den bunten Blätterbaldachin schien. Und wenn jemand sie erkannte – es war ihr gleichgültig.
    Was war das nur für ein herrlicher Tag!
    Um Kastanien zu sammeln und Kränze zu binden. Um Blumen zu trocknen und Girlanden zu flechten. Ein Tag für lilafarbene Blumensträuße. Und grünwürzige Kräuterbüschel. Und silberfarbene Disteln mit erstem Tannengrün. Und –
    Schluss, vorbei! Und nur
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