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Das Blumenorakel

Das Blumenorakel

Titel: Das Blumenorakel
Autoren: Petra Durst-Benning
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Versailles zum Kaiser erklären lassen, von einer Geste »absoluter Unterwerfung« war in den Zeitungen die Rede gewesen. Ein deutscher Kaiser in Versailles – das war doch was! Helmut, Hannahs Mann, und die anderen Männer aus dem Dorf hatten den neuen Kaiser mit viel Bier und Schnaps hochleben lassen.
    Aber was wäre, wenn sich die Franzosen gar nicht »absolut unterworfen« fühlten? Womöglich stand Frankreich kurz davor zurückzuschlagen? Falls ja, befänden sich Flora und sie hier in Baden-Baden an einem äußerst unsicheren Ort …
    Obwohl Hannah die Stadt von früheren Fahrten her recht gut kannte und schätzte, war ihr diesmal mehr als ein wenig mulmig zumute. Ganz gewiss gab es bessere Zeiten für eine Reise nach Baden-Baden als ausgerechnet den Januar dieses Jahres. Umso mehr bemühte sich Hannah, gegenüber Flora Zuversicht und Sorglosigkeit auszustrahlen. Es tat nicht not, dass ihre Tochter neben all dem Unwillen, den sie eh schon hegte, auch noch Angst verspürte.
    In den letzten Tagen vor ihrer Abreise hatte Helmut jeden, der zuvor auch nur in die Nähe von Baden-Baden gekommen war, über die politische Lage befragt, doch keiner der Reisenden hatte etwas von Kämpfen oder gefährlichen Situationen berichtet. Also könnten auch Frau und Tochter ruhig losziehen, hatte Helmut gemeint. Hannah hatte nichts dagegen gesagt. Was auch? Sie konnten es sich nicht leisten, zu Hause auf bessere Tage zu warten! Sie mussten sich bei der Kundschaft zeigen, bevor die sich umorientierte.
    Und ausgerechnet in dieser besonderen Situation musste es Hannah gelingen, der Tochter das Reisen und den Handel schmackhaft zu machen. Bisher war sie darin nicht sehr erfolgreich gewesen …
    Inzwischen stand der Zug. Die Tür des Abteils wurdeaufgerissen, kalte Luft schwappte herein, die Schonzeit war vorüber.
    Â»Jetzt hör auf zu schmollen!«, sagte Hannah an Flora gewandt. »Nimm die Leinentasche mit dem Essen und den Gastgeschenken, ich trage den Zwerchsack und den Koffer.« Noch während sie sprach, warf sie sich ihren warmen Umhang aus grünem Filz über, betrachtete prüfend ihr Spiegelbild in der beschlagenen Fensterscheibe, rückte den Filzhut zurecht und war zufrieden mit dem, was sie sah: Das Dunkelgrün von Hut und Umhang brachte ihr fast schwarzes Haar zur Geltung und passte genauso gut zu ihren dunklen Augen. Eine Tracht im eigentlichen Sinne konnte man den Umhang und das kleine Hütchen nicht nennen, aber beides waren Erkennungsmerkmale dafür, dass es sich bei der Trägerin um eine Gönninger Samenhändlerin handelte, die sich ihren Lebensunterhalt mit dem Handel von Blumen- und Gemüsesamen und Tulpenzwiebeln verdiente. Nicht allen Frauen aus Hannahs Dorf stand diese Kleidung so gut wie ihr. Sie war mit ihren 39 Jahren noch immer eine attraktive Frau.
    Auch Flora trug das Gönninger Dunkelgrün. Allerdings schien es, als würde sie mit dem Filzumhang eine tonnenschwere Last auf ihren Schultern tragen.
    Ach Mädchen, so schlimm ist das Leben einer Samenhändlerin doch gar nicht, dachte Hannah bei sich.

    Wenige Minuten später saßen die beiden Frauen in einer Kutsche und waren auf dem Weg in Richtung Innenstadt. Hannah wollte zuerst in ihrem Gasthof das Gepäck loswerden, bevor sie die ersten Kunden aufsuchten.
    Während der Wagen auf der festgefahrenen Schneedecke durch die Lange Straße fuhr, zeigte Hannah hier auf ein Palais, da auf ein Landhaus oder auf ein Hotel – allesamt Domizile ihrer verehrten Baden-Badener Kundschaft. Flora tat weiterhin betont teilnahmslos. Die verehrte Kundschaft interessierte sie herzlich wenig – das war die Aussage, die Hannah hinter ihremSchweigen laut und deutlich hören konnte. Doch statt sich über Floras Benehmen zu ärgern, brach es Hannah fast das Herz, die Tochter so unglücklich zu sehen.
    Wie sehr sie dieses Kind liebte! Natürlich lagen ihr die Zwillinge, die zwei Jahre jünger waren als Flora, ebenso sehr am Herzen. Aber die Tochter war halt eine ganz besondere Person.
    Flora …
    Es war nicht nur die Tatsache, dass sie ihr wie aus dem Gesicht geschnitten war: dieselbe dunkle, leicht krause Mähne – bei Hannah allerdings von immer mehr Silberfäden durchzogen –, derselbe kräftige und hohe Wuchs, für eine Frau vielleicht ein wenig stattlich, aber immerhin kein dünnes Stängelchen, das vom
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