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Das blaue Zimmer

Das blaue Zimmer

Titel: Das blaue Zimmer
Autoren: Rosamunde Pilcher
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sie heira tete, hatte er nicht im geringsten geahnt, als was für ein Mensch sie sich entpuppen würde. Sanft und anspruchslos, hatte sie im Laufe der Jahre einen nahezu unheimlichen Instinkt dafür an den Tag gelegt, was ein Haus behaglich machte. Hätte man ihn gebeten, dies genauer zu erläutern, James hätte passen müssen. Er wußte nur, daß das Haus, obwohl häufig die Spielsachen, Schuhe und Zeichnungen der Kinder herumlagen, ein fried liches, heimeliges Ambiente hatte. Immer waren Blumen da, Lachen erfüllte das Haus, und immer gab es genug zu essen für die unerwarteten Gäste, die beschlossen hatten, zum Abend essen zu bleiben.
    Das wahre Wunder aber war, daß all dies so unaufdringlich passierte. James kannte Familien, wo die Frau des Hauses den ganzen Tag mit abgehärmtem Gesicht herumlief, ununterbrochen putzte und aufräumte, sich in die Küche zurückzog und erst zwei Minuten bevor das Essen aufgetragen wurde, wieder zum Vorschein kam, erschöpft und obendrein schlechtge launt. Nicht, daß Louisa nicht in ihre Küche ging, aber die Leute schlenderten hinterher, nahmen ihre Drinks oder ihr Strickzeug mit und hatten nichts dagegen, wenn sie ihnen Boh nen zum Schnippeln oder Mayonnaise zum Rühren gab. Die Kinder zockelten zwischen Küche und Garten hin und her, und auch sie halfen Erbsen pulen oder aus den Teigresten der Apfel pastete kleine Plätzchen formen.
    Manchmal kam James der Gedanke, daß Louisas Leben, verglichen mit seinem, sehr fade sein mußte. „Was hast du heute gemacht?“ fragte er, wenn er nach Hause kam, aber sie sagte jedesmal nur: „Nicht viel.“
    Es regnete noch, an diesem Nachmittag würde es früh dun kel werden. Er hatte jetzt Henborough erreicht, die letzte Kleinstadt an der Hauptstraße vor der Abzweigung zu ihrem Dorf. Die Ampel zeigte Rot, und er kam vor einem Blumenge schäft zum Stehen. Drinnen sah er Vasen mit roten Tulpen, mit Freesien, Narzissen. Er dachte daran, Louisa Blumen zu kau fen, aber da sprang die Ampel auf Grün, er vergaß die Blumen und fuhr im Verkehrsstrom weiter.
    Es war noch hell, als er zwischen den Rhododendronsträu chern die Zufahrt entlangkam. Er fuhr den Wagen in die Garage, stellte den Motor ab, nahm sein Gepäck aus dem Kof ferraum und ging durch die Küchentür ins Haus. Rufus, ein Spaniel, der langsam in die Jahre kam, stieß in seinem Korb ein warnendes „Wuff“ aus, und James’ Frau blickte vom Küchentisch auf, wo sie eine Tasse Tee trank.
    „Liebling!“
    Wie schön, so freudig begrüßt zu werden. „Überraschung, Überraschung.“ Er stellte seine Aktenmappe hin, Louisa stand auf, sie liefen sich entgegen und verloren sich in einer langen, innigen Umarmung. Er fühlte ihre zarten Rippenknochen durch ihren alten braunen Pullover. Sie duftete köstlich, es erinnerte entfernt an Feuer im Freien.
    „Du bist früh dran.“
    „Ich bin vor dem Stoßverkehr entwischt.“
    „Wie war’s auf dem Festland?“
    „Europa existiert noch.“ Er hielt sie von sich. „Hier stimmt was nicht.“
    „Wieso?“
    „Das mußt du mir sagen. Keine verlassenen Fahrräder mitten in der Garage, kein aufgeregtes Geplapper, keine Rassel banden, die durch den Garten flitzen. Keine Kinder.“
    „Sie sind in Hamble bei Helen.“ Helen war Louisas Schwe ster. „Das hast du doch gewußt.“
    Er hatte es gewußt. Er hatte es schlicht und einfach ver gessen.
    „Ich dachte, du hättest sie womöglich ermordet und im Komposthaufen verscharrt.“
    Sie runzelte die Stirn. „Hast du dich erkältet?“
    „Ja. Irgendwo zwischen Oslo und Brüssel muß es mich er wischt haben.“
    „Ach du Ärmster.“
    „Gar nicht Ärmster. Deswegen muß ich morgen nämlich nicht nach London. Ich bleibe hier, bei meiner Frau, und schreibe meinen EG-Bericht am Eßzimmertisch.“ Er küßte sie. „Du hast mir gefehlt. Weißt du das? Du hast mir wahrhaftig gefehlt. Unglaublich. Was gibt’s zum Essen?“
    „Steaks.“
    „Das wird ja immer besser.“ Er öffnete seine Aktenmappe und gab Louisa den Parfumflakon (größer als der für seine Se kretärin), empfing ihre Dankesumarmung, dann ging er nach oben, um auszupacken und ein heißes Bad zu nehmen.
     
     
    Als James am nächsten Morgen aufwachte, schien blaß die Sonne, und es herrschte eine wunderbare, lediglich von leisem Vogelgezwitscher gebrochene Stille. Er schlug die Augen auf und sah, daß er allein im Bett war, nur die Mulde in dem ande ren Kissen zeugte von Louisas Anwesenheit. Er stellte etwas erstaunt fest, daß er
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