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Das blaue Zimmer

Das blaue Zimmer

Titel: Das blaue Zimmer
Autoren: Rosamunde Pilcher
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sich nicht erinnern konnte, wann er jemals während der Woche einen Tag frei genommen hatte. In Träg heit schwelgend, kam er sich vor wie ein Schuljunge an einem unerwarteten Ferientag. Er fummelte seine Uhr unter dem Kopfkissen hervor. Es war halb neun. Herrlich. Der heiße Whisky mit Zitrone, den er gestern abend zu sich genommen hatte, hatte seine Wirkung getan, und seine Erkältung war auf dem Rückzug. Er stand auf, rasierte sich, zog sich an, ging nach unten und fand seine Frau in der Küche, wo sie ihren Kaffee trank.
    „Wie geht’s dir?“ fragte sie.
    „Ich fühle mich wie neugeboren. Die Erkältung ist weg.“
    Sie ging zum Herd. „Eier mit Speck?“
    „Wunderbar.“ Er griff nach der Morgenzeitung. Gewöhnlich las er die Morgenzeitung, wenn er abends nach Hause kam. Es war ein nahezu obszöner Luxus, sie in Muße am Frühstückstisch zu lesen. Er überflog den Wirtschaftsteil, den Kricketbericht, schließlich die Schlagzeilen. Louisa räumte die Spülmaschine ein. James sah sie an.
    „Räumt Mrs. Brick die Spülmaschine nicht ein?“
    Mrs. Brick war die Frau des Installateurs aus dem Dorf, die Louisa bei der Hausarbeit half. Zu den angenehmen Dingen am Samstagmorgen gehörte es, daß Mrs. Brick kam, hinter dem Staubsauger hersauste, die Bodendielen polierte und im Haus den süßen Duft von Bienenwachs verbreitete.
    „Mrs. Brick kommt donnerstags nicht. Mittwochs und montags kommt sie auch nicht.“
    „Nie?“
    „Nie.“ Louisa servierte ihm Eier mit Speck und schenkte ihm eine große Tasse schwarzen Kaffee ein. „Ich drehe im Eßzimmer die Heizung an. Es ist eiskalt da drin.“ Damit ging sie hinaus. Gleich darauf lärmte der Staubsauger durch die Mor genluft. Arbeiten, schien er zu sagen. Arbeiten, arbeiten. James verstand den Hinweis, er begab sich mit seiner Aktenmappe und seinem Taschenrechner ins Eßzimmer. Die Morgensonne strahlte durch die hohen Fenster. Er öffnete seine Aktenmappe und breitete den Inhalt um sich aus. Das, dachte er, während er seine Brille aufsetzte, ist das Leben. Keine Störungen, keine Anrufe.
    Sogleich klingelte das Telefon. Er hob den Kopf und hörte Louisa drangehen. Nach langer Zeit, wie ihm schien, verkün dete ein einzelnes Klingeln, daß das Gespräch beendet war. Der Staubsauger brummte aufs neue. James machte sich wieder an die Arbeit.
    Ein neues Geräusch durchdrang die Morgenstille. Von ir gendwo ertönte ein Surren und Schwirren, das James nach einigem Nachdenken als die Waschmaschine identifizierte. Er schrieb: Nordengland. Absolut abgedeckt.
    Dann, in dichter Folge, zwei weitere Anrufe. Louisa nahm alle entgegen, aber als es das vierte Mal klingelte, ging sie nicht an den Apparat. James versuchte, das beharrliche Klingeln zu überhören, doch nach einer Weile schob er entnervt seinen Stuhl zurück und stürmte durch die Diele ins Wohnzimmer.
    „Ja?“
    Eine schüchterne Stimme sagte: „Oh, hallo.“
    „Wer spricht da?“ schnauzte James.
    „Oh, ich glaube, ich muß mich verwählt haben. Ist das Hen borough384 ?“
    „Ja. Hier spricht James Harner.“
    „Ich wollte Mrs. Harner sprechen.“
    „Ich weiß nicht, wo sie ist.“
    „Hier spricht Miss Bell. Es geht um den Blumenschmuck in der Kirche für nächsten Sonntag. Mrs. Harner und ich machen das immer zusammen, und ich wollte sie fragen, ob sie etwas dage-gen hat, wenn sie es diesen Sonntag mit Mrs. Sheepfold macht, dann könnte ich es nächste Woche mit der Frau des Pastors ma-chen. Wissen Sie, die Tochter meiner Schwester hat nämlich…“
    Es war an der Zeit, den Redeschwall zu bremsen. „Hören Sie, Miss Bell, wenn Sie einen Moment dranbleiben, sehe ich nach, ob ich Louisa finden kann. Legen Sie nicht auf. Bin gleich wieder da… “
    Er legte den Hörer hin und ging in die Diele. „Louisa!“ Keine Antwort. In die Küche. „Louisa!“
    Ein schwacher Ruf drang durch die Hintertür zu ihm. Er ging hinaus und fand seine Frau auf dem Rasen, wo sie, wie ihm schien, die Wäsche eines ganzen Wäschereibetriebes auf hängte. „Was gibt’s?“
    „Miss Bell ist am Telefon.“ Dann war er abgelenkt und fragte: „Sagen Sie, Mrs. Harner, wie bekommen Sie Ihre Wä sche so weiß?“
    Louisa parierte aufs Stichwort: „Oh, ich nehme Persil“, er widerte sie mit der Stimme der Frau in der Fernsehwerbung. „Das wäscht sogar die Unterhosen meines Mannes strahlend rein, und alles duftet so frisch. Was will Miss Bell?“
    „Sie sagt irgendwas von der Tochter ihrer Schwester und der Pfarrersfrau.
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