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Das blaue Siegel

Das blaue Siegel

Titel: Das blaue Siegel
Autoren: Daniel Twardowski
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    In den kommenden Wochen gab es in der Presse mächtigen Wirbel um die aufgegebenen Schiffe, aber das Kriegsgericht sprach die Kapitäne McClure, Kellett, McClintock, Richards und Belcher von jeder Schuld frei, wenn auch das eisige Schweigen, mit dem die Richter Sir Edward sein Schwert wieder überreichten, signalisierte, dass das Urteil über ihn nicht einstimmig gewesen war. Um den Oberkommandierenden jedoch nicht völlig zu vernichten, wurden sämtliche Strafen, die er im Eis verhängt hatte, in einer Fußnote beiläufig bestätigt.
     

143.
     
    Zwei Jahre später war die Sache noch einmal in aller Munde und musste sich die ganze Nation für einen ihrer Admirale schämen, denn oben im eisigen Norden war etwas Bemerkenswertes geschehen: Das gute Schiff Resolute hatte seinem Namen alle Ehre gemacht, war mit dem Eis durch den Lancaster Sound in die Baffin Bay getrieben und hatte auch das Aufbrechen der letzten Schollen unbeschadet überstanden.
    Einsam und frei schwamm das mächtige Schiff bis zu den Neufundlandbänken hinunter, wo es einem kleinen amerikanischen Walfänger begegnete, der sein Glück kaum fassen konnte. Der Kapitän ließ sein eigenes winziges Schiff im Stich, setzte die noch völlig intakten Segel der Resolute und brachte sie im Triumph in seine Heimatstadt New Bedford. Dort verkaufte er sie mit enormem Gewinn an die amerikanische Marine, die sich einen Spaß daraus machte, das Schiff vollständig zu überholen und es – mit den besten Wünschen der ehemaligen Kolonie – Ihrer Majestät Königin Viktoria zu schenken.
    Damit war die Irrfahrt der Resolute auf den wundersamen Meeren diplomatischen Miteinanders aber noch nicht beendet. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde aus ihren letzten Holzteilen ein Schreibtisch hergestellt, den das englische Volk dem amerikanischen Kongress in Washington zum Geschenk machte; der Kongress wiederum verehrte ihn dem US-Präsidenten, der ihn im Oval Office aufstellen ließ, und so schwebt bis heute der Geist der Resolute  – aber auch der Geist Belchers – über den Aufmarschbefehlen zu den Kriegen des 21. Jahrhunderts.
     
    Die Kinder fanden die Taube nach dem ersten großen Regen; völlig erschöpft und mit einem angebrochenen Flügel saß sie zwischen den Dachbalken einer Hütte, die dem Sturm nicht standgehalten hatte. Die Männer wollten sie abreißen. Sie instand zu setzen hätte mehr Zeit erfordert, als der Monsun ihnen ließ; zwei Monate lang würde es jetzt nur für jeweils wenige Stunden aufhören zu regnen.
    Die Kinder trugen die Taube zu ihrer Mutter und freuten sich schon auf das Fleisch, aber die aufmerksame Frau bemerkte, dass an ihrem Fuß etwas befestigt war, eine kleine Kapsel, und überlegte nur kurz.
    »Bringt sie dem Drechsler«, sagte sie dann. »Vielleicht ist es eine von seinen!«
    Der Drechsler war ein seltsamer Mann, vor dem sich alle ein wenig fürchteten und mit dem man sich besser nicht anlegte. Entsprechend schüchtern standen die Kinder vor seinem Haus, wo Werkstatt und Wohnung eins waren. Er war eben damit beschäftigt, ein Stück Eisen zurechtzufeilen und in einer etwa faustgroßen Holzkugel zu verankern.
    Als er die Kinder sah, legte er sorgfältig ein Tuch über das neue Werkstück, aber als er entdeckte, was sie ihm brachten, schaute er sie so freundlich an, wie das für einen Einäugigen möglich war. Schnell löste er die Kapsel vom Fuß der Taube, drehte ihr mit drei Fingern den Hals um und gab den Kindern den Kadaver als Belohnung zurück.
     
    John hatte noch nie mit einer Frau geschlafen, die so flammend rotes Schamhaar hatte wie Molly, und sie deshalb so genommen, dass er möglichst viel davon zu sehen bekam. Als sie fertig waren, hatte er sie noch lange betrachtet, gestreichelt, geküsst, und Molly ließ es geschehen, denn er hatte sie gut bezahlt und war nicht grob gewesen.
    »Willst du etwas trinken?«, fragte sie.
    »Gern«, antwortete er, und sie stand auf, um das Getränk zu holen – wusste aber nicht, welches, und blickte ihn fragend an. »Whisky, bitte!«, sagte er mit einem Lächeln, während sie sich nicht mehr als einen Morgenmantel überwarf.
    »Mit Eis?«, fragte sie und fügte stolz hinzu: »Wir haben einen eigenen Eiskeller, der …« Stirnrunzelnd betrachtete sie ihn. John Gowers gefiel ihr. Er war jung, sein Fleisch fest und stark. Bis auf die hässliche Narbe auf seiner Hinterbacke sah er gut aus, und auf eine seltsame Weise war er zärtlicher als die meisten anderen Freier gewesen. Aber
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