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Das blaue Siegel

Das blaue Siegel

Titel: Das blaue Siegel
Autoren: Daniel Twardowski
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Van Deurs und fügte lächelnd hinzu: »Man könnte auch sagen, einen Detektiv!«
     

9.
     
    »Sie behaupten also, ein Detektiv zu sein!«, sagte Richter James Oswin Trevelyan, dessen schneeweiß gesträubter Backenbart eindrucksvoll eine Gesichtsfarbe kontrastierte, die der über vierzigjährige Aufenthalt in Indien und eine ebenso lange wie hartnäckige Liebe zu Alkoholika aller Art ihm eingebracht hatten. »Können Sie das irgendwie beweisen?«
    »Wird diese Tatsache denn von irgendjemandem in Abrede gestellt, Euer Ehren?«, entgegnete Mukhopadhyaya. »Falls nötig, wird sich in der persönlichen Habe meines Mandanten natürlich ein solcher Beweis finden lassen. Colonel Outram müsste ihm diese Habe lediglich wieder zugänglich machen.«
    »Ich verwahre mich entschieden gegen die Unterstellung, diesen Menschen bestohlen zu haben!«, protestierte James Robert Outram, pensionierter Oberst der Third Bengal Lancers und passionierter Rechtsberater in englischen Clubkreisen. »Ich habe seine Sachen lediglich in Verwahrung genommen, als er verhaftet wurde.«
    »Als Sie ihn verhaften ließen, Sir«, warf Mukhopadhyaya ein.
    »Als ich ihn verhaften lassen musste«, wehrte sich wieder der Oberst, »weil er der Witwe eines verdienten Offiziers und langjährigen Freundes mit impertinenten Drohungen nachstellte.«
    »Waren es nicht vielmehr Forderungen, Colonel Outram?«
    »Es war handfeste Erpressung, Mr. Mukho…«
    »…padhyaya. Berechtigte Forderungen, wie ich hinzufügen möchte.«
    »Ja, ja, Hickhack«, murmelte Trevelyan, gelangweilt von dem formvollendeten Schlagabtausch, den die beiden Advokaten sich geliefert hatten. »Also, können Sie’s beweisen?!«
    John Gowers, noch genauso abgerissen und stinkend, wie man ihn aus dem Gefängnis von Delhi geholt hatte, war bislang hauptsächlich damit beschäftigt gewesen, Lady Wedderburn niederzustarren, die ihm über den Rand ihres rastlos tätigen Fächers hinweg feindselige Blicke zuwarf und gar nicht daran dachte, in diesem Augenduell klein beizugeben. Die Tage im Gefängnis zogen an Gowers vorüber, und er hätte viel gegeben für ein Viertelstündchen ungestörter Zweisamkeit mit der vornehmen Dame.
    »Hätten Sie etwas dagegen, kurz aufzustehen, Euer Ehren?« , fragte er dann.
    Trevelyan grinste. In seinen Gerichtsverfahren waren es seit vierzig Jahren die Angeklagten gewesen, die dieser Aufforderung nachzukommen hatten. Aber hier gab es keinen Angeklagten, und ob es je ein Verfahren geben würde, war mehr als zweifelhaft. Dies war nur eine formlose Anhörung. Und nun schien sie endlich die Abwechslung zu bieten, die er sich insgeheim von ihr erhofft hatte.
    Der Richter erhob sich, trat drei Schritte zurück und richtete sich zu voller Größe auf. Er war immer ein imposanter Mann gewesen, ein Ringer in seiner Jugend. Beinahe siebzig Jahre hatten die Haare weiß gefärbt, die auf seinem eindrucksvollen Kopf, den mächtigen Wangen, aber leider auch aus den Ohren und sogar seiner Nase wuchsen. Wenn Richter Trevelyan nervös wurde, hatte er die unappetitliche Gewohnheit angenommen, an den letztgenannten herumzuzupfen. Jetzt aber war er überhaupt nicht nervös. Er war Jupiter. Dies war sein Olymp.
    Auch Gowers stand auf, sah sich den alten Mann gründlich an und ging sogar einmal um ihn herum. »Sie sind unverheiratet«, sagte er schließlich.
    »Das«, erwiderte Trevelyan belustigt, aber auch ein bisschen enttäuscht, »kann Ihnen Ihr Mr. Mukho…«
    »…padhyaya!«, warf der Anwalt ein.
    »… Mr. Mukhopadscha ohne Weiteres erzählt haben, Sir.«
    »Ich meinte: Sie waren auch nie verheiratet«, fuhr Gowers ungerührt fort. »Ihr Garten liegt an einem Osthang, Ihr Tabak wird dieses Jahr wohl nichts werden, und Ihren Diener sollten Sie entlassen.« Er setzte sich wieder. »Eigentlich schade, dass Sie die Schmetterlingssammlung aufgegeben haben, Euer Ehren!«, fügte er noch hinzu.
    James Oswin Trevelyan blickte stirnrunzelnd auf seine Schuhe und Hosenbeine, musterte flüchtig seine Hände, die Fingernägel, strich durch das sauber gekämmte, aber am Hinterkopf jahrzehntelang plattgelegene Haar, entfernte ein paar Schuppen von seiner Schulter und tastete kurz nach der alten Schmetterlingsnadel, die seinen Kragen im Nacken zusammenhielt. Er räusperte sich zweimal und überlegte, ob er peinlich berührt sein sollte. Schließlich nahm er umständlich wieder Platz und sagte: »Nehmen wir also an, Sie sind Detektiv!«
     

10.
     
    Nach Viktoria benannte man Städte,
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