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Das blaue Haus (German Edition)

Das blaue Haus (German Edition)

Titel: Das blaue Haus (German Edition)
Autoren: Marion Schreiner
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schnell die Wechselwirkung körpereigener und körperfremder Stoffe auf seinen Gesamtorganismus herausdifferenzieren konnte. Da gab es Pillen, die ihn nur eindämmten – Tranquilizer; Pillen, die ihn brutal und schnell in einen tiefen Schlaf rissen – narkoseähnliche Mittel; Pillen, die ihn sanft in den Schlaf dirigierten – Schlafmittel, unterschiedlich stark. Und Pillen, die ihm Angst- und Spannungszustände nahmen, ihm sogar Glücksgefühle schenkten – Ataraktika und Neuroleptika.
Er stellte sich eine Mischung aus all den Medikamenten, die er nächtelang ausprobiert hatte, zusammen. So wenig Ahnung er auch von deren Wechselwirkung untereinander hatte, sosehr wünschte er sich, damit einen Weg in einen totalen körperlichen Ruhezustand zu finden. Es musste seine Herzfrequenz soweit herunterfahren, dass eine einfache Untersuchung keinen Herzschlag auf Anhieb feststellen konnte. Und es musste seine Körpertemperatur runterfahren. Die Dosierung musste stimmen. Zuviel würde ihn umbringen, zu wenig würde ihn verraten. Es war eine Chance, wenn auch eine wahnsinnige.
    Dane begann zu beten und mit Gott zu sprechen. In einer Nacht führte er eine stundenlange Diskussion mit ihm über die Dosierung und wurde sich immer sicherer, das Richtige zu tun. Er hatte Gott überredet und einen neuen Fürsprecher gewonnen – unter Drohungen und Erpressungen natürlich, aber immerhin. Doch als sein Gott ihn auf die Gefahr eines Scheintods in der heutigen technisierten Zeit hinwies, sprach er nicht mehr mit ihm. Er diskutierte mit sich alleine weiter und kam zu dem Entschluss, dass ein guter Arzt ganz sicher eine unberechenbare Gefahr für sein Experiment darstellen würde. Ein guter Arzt. Dr. Brickson war ein Anfänger – und dazu ein überaus altkluger und voreiliger.
Wenn er es irgendwie schaffen könnte, seinen Herzschlag, seine Atmung und seine Temperatur auf niedrigste Frequenz zu bringen, sodass sein Leben erloschen erscheint, so wäre da der Hauch einer Chance, von dieser Station zu kommen. An die Folgen einer Gehirnschädigung oder einer Nervenschädigung dachte er nicht, wollte er auch nicht. Es ging ganz alleine darum, hier herauszukommen – lebend oder eben tot. Dazwischen sollte es für ihn nichts geben.
Er entschied sich bei der Zusammensetzung für drei Narkosemittel, drei Tranquilizer, zwei Ataraktika und drei Neuroleptika. Er wusste nicht, warum. Die Auswahl war willkürlich und doch instinktiv. Manchmal wusste er jedoch nicht, ob nun auch sein Instinkt schon durchdrehte.
    Dr. Brickson war sehr zufrieden, dass Dane endlich flüssige Nahrung zu sich nahm. Er konnte jedoch nicht feststellen, ob es nur ein Reflex war, der wieder funktionierte oder ob sein Patient langsam nachgab. Aber damit hörte sein Erfolg auch schon wieder auf. Er schickte verstärkt die anderen Patienten zu ihm an das Bett und setzte ihn aggressiver Musik aus. Doch das alles ließ ihn einfach nicht lebendig werden.
Dass Dane tagsüber wach war, hatte der Arzt schnell an seinen Pupillen feststellen können, aber das war es nicht, auch wenn sich die Pupillen in letzter Zeit in einem veränderten Zustand zeigten. Es war das Problem, dass Dane nicht von alleine kommunikativ werden wollte, im Gegensatz zu anderen Patienten mit psychopathischer Erkrankung, die kaum mit Pharmaka einzustellen waren. Und so übersah auch er die Menge von Pillen, die Dane dann kurz vor Sarahs Besuch in seinem Mund verschwinden ließ.
    Es war der 18. Dezember 1996, an dem er den Sprung in den Tod wagte. Panik und Freude zugleich hatten ihn dazu getrieben und ihm schließlich den dazugehörigen Mut geschenkt. Am Abend zuvor hatte er sich exakt mit elf Pillen eingedeckt, die er bis in den späten Nachmittag in seiner linken Hand verborgen hielt. Sie wurden von keinem Pfleger und keinem Arzt gefunden.
Sarah saß an seinem Bett. Mit ihr kam die Dunkelheit, wie jeden Abend um diese Jahreszeit. Jetzt gab es nur noch künstliches Licht.
Dane spürte die Medikamente auf seiner Zunge, wie sie weich und glitschig ihren Weg in den Magen suchten. Er lag da, unbeweglich, schweigsam und mit geschlossenen Augen – wie immer. Sarah redete kurz mit ihm und flößte ihm wieder Suppe ein. Sein Herz raste. Ein ekliger Geschmack entfaltete sich in seinem Mund. Er konnte die Wirkung der Medikamente nicht mehr stoppen. Sie lösten sich mit der Suppe auf und hinterließen Übelkeit. Dane überkam die Panik. Er wollte Sarah noch einmal sehen. Was machte es jetzt noch aus, die Augen zu öffnen
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