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Das Bildnis der Novizin

Titel: Das Bildnis der Novizin
Autoren: Laurie Albanese Laura Morowitz Gertrud Wittich
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Hütte war mit bunten Farbtupfern besprenkelt, und an der Wand lehnten zahlreiche Holzplatten, auf denen halbfertige Engel und Heilige beim Gebet, bei der Arbeit oder im Augenblick des Todes zu sehen waren. Sie alle warteten noch auf die Hand des Künstlers, um Vollendung zu finden.
    Der Mönch trat wieder vor seine Staffelei und blieb brütend, den Blick nach innen gewandt, davor stehen. Entnervt fuhr er sich mit der Hand über die Tonsur. Seit Tagen arbeitete er nun schon an diesem Bild, einer Auftragsarbeit von Ottavio de Valenti, Pratos reichstem Bürger. Fra Filippo musterte das kleine Porträt der Muttergottes mit Kind.
    »Eine Madonna, eine schöne Madonna mit Kind«, hatte Signore Ottavio verlangt und zehn goldene Florin in Fra Filippos Pranke gedrückt. »Für meine geliebte Teresa, die guter Hoffnung ist. Damit es, so Gott will, diesmal ein Sohn wird!«
    Filippos Jungfrau Maria saß auf einem herrlichen Thronsessel, dessen Details er mit viel Mühe auf die Holzplatte gebracht hatte: perlenbestickte Armlehnen, der Sesselstoff aus dem reinsten, leuchtendsten Lapislazuliblau, aufwändige Blattgold- und Krapprot-Ornamentierung. Das pummelige, engelsgleiche Jesuskind saß auf ihrem Schoß, den Kopf zu ihrem Antlitz erhoben.
    Doch die Madonna hatte noch kein Gesicht. Da war nur ein fleischfarbenes Oval mit einigen vagen Andeutungen in roter Kreide.
    Zögernd kletterten die Buti-Schwestern aus ihrer Kutsche. Die Dorfjungen, die sich um das Klostervieh kümmerten, blieben gaffend stehen, und einige Nonnen spähten neugierig aus den Fenstern des Kapitelhauses.
    Spinetta, die Jüngere, erschien zuerst. Ein blasses, zartes Gesicht über einem braunen Reisemantel, ein Gesicht, dessen Wangen ihre kindliche Fülle noch nicht verloren hatten. Blondes Haar umrahmte ihre Züge. Den Blick scheu gesenkt, trat sie beiseite, um ihrer Schwester Platz zu machen.
    Aller Augen waren nun auf den Kutschenschlag gerichtet. Zuerst erschien ein zierlicher Fuß, gefolgt von einem herrlichen magentafarbenen Seidenkleid, einer kleinen, behandschuhten Hand, einer Wespentaille und einem blonden Haupt, dessen um den Kopf gewundene Zöpfe von einem goldenen Haarnetz zusammengehalten wurden. Die neunzehnjährige Lucrezia Buti war eine Schönheit mit Sinn für Mode und schöne Kleider, den sie im Haus ihres Vaters, eines Tuchhändlers, erworben hatte. Sie hatte ein zart geschnittenes Gesicht, eine hohe, glatte Stirn, weit auseinanderstehende Augen, volle Lippen. Das Kinn gereckt, blieb sie neben ihrer Schwester stehen und blickte sich auf dem staubigen Klosterhof um.
    Lucrezias Blick glitt über die Ziegen, die Hütejungen, die gelblichen Kalksteinmauern des Klosters, über die duftenden Lavendelbüsche vor dem Büro der Äbtissin. Alles war so still hier, so ungewohnt.
    Aus dem schmalen Fenster des Büros starrte ihr das verkniffene Gesicht einer alten Nonne entgegen. Hinter ihr stand eine lange, dürre Nonne mit einer Gurkennase und dicken, buschigen Augenbrauen, die den Hühnerhals reckte und die beiden jungen Frauen mit offenem Mund anstarrte.
    »Heilige Maria, Muttergottes, steh mir bei«, murmelte Lucrezia und hielt sich ein kleines Duftkissen, das sie selbst mit flinken Fingern genäht hatte, an die Nase. Sie tat einen tiefen Atemzug.
    Als Schwester Camilla die schönen, aber vollkommen unpraktischen Gewänder der Schwestern sah, wurde ihr sofort bewusst, dass die beiden keine Ahnung hatten, was sie hier erwartete.
    »Das müssen die Novizinnen aus Florenz sein«, sagte sie, »die uns von Monsignore Donacello angekündigt wurden«, erinnerte sie Mutter Bartolommea. »Sie sind einen Tag früher eingetroffen.«
    Kurz darauf stakste die lange, dürre Ordenssekretärin auch schon auf die Kutsche zu, wobei sie mit dem Saum ihrer schwarzen Tracht eine Staubwolke hinter sich herzog.
    »Herzlich willkommen im Kloster Santa Margherita«, verkündete sie hoheitsvoll.
    »Danke, Schwester«, erwiderten die beiden im Chor.
    Lucrezia überreichte Schwester Camilla ein versiegeltes Pergament und wartete, während die Sekretärin damit im Büro verschwand.
    Die Äbtissin brach das Siegel des Schreibens, in dem Monsignore Antonio Donacello aus Florenz einen kurzen Abriss der bedauerlichen Lebensumstände der beiden Mädchen gab; er schrieb über den überraschenden Tod des Vaters, Lorenzo Buti, und die damit verbundene plötzliche Verarmung der Familie, was die beiden Schwestern zwang, im Kloster um Aufnahme zu bitten. Er versprach Almosen, wenn man sich
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