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Das Bildnis der Novizin

Titel: Das Bildnis der Novizin
Autoren: Laurie Albanese Laura Morowitz Gertrud Wittich
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Dunkelheit, »beschütze meinen Sohn, bis wir wieder vereint sind. Heilige Maria, Muttergottes, ich bitte dich im Namen des Heiligen Gürtels: Vergib mir meine Sünden.«
    Dann spricht sie den Namen ihres Kindes laut in die Nacht. Und wartet. Kein Donnerschlag ertönt, kein Blitz durchzuckt den Himmel, keine rächende Hand Gottes. Gar nichts geschieht. Auch kein Zeichen der Muttergottes, dass ihre Bitte um Vergebung erhört wurde.
    Wäre nicht der Blutgeruch und der Riss in ihrem Perineum, es gäbe keinen Hinweis darauf, dass in jener Nacht ein Knabe das Licht der Welt erblickt hat.

1. Kapitel

    Am Namensfest der heiligen Philomena, im Jahre des Herrn 1456
    L ucrezia und Spinetta Buti trafen Anfang Juli im Kloster Santa Margherita ein, an einem Montag, in der vierten Woche nach Pfingsten. Sie kamen aus Florenz und reisten in einer schlichten Kutsche, gezogen von einem prächtigen Gespann. Diese Pferde erregten überall, wo sie vorbeikamen, Staunen und Bewunderung. Bauern, die in ihren Olivenhainen arbeiteten, unterbrachen ihre Tätigkeit und zogen respektvoll die Mützen. Hirtenjungen, die im goldenen Hügelland um Sesto Fiorentino Ziegen und Lämmer hüteten, kamen winkend herbeigerannt, in der Hoffnung, eine blasse Hand möge sich aus dem Kutschenfenster strecken und ihnen ein paar Münzen, etwas Süßes oder bunte Glasperlen zuwerfen.
    Lebhaft trabten die Rösser über die staubige Via Santa Margherita und blieben schließlich wiehernd vor den Toren des Klosters stehen.
    Mutter Bartolommea, die in ihrem kleinen Büro saß, blickte von ihren Rechnungsbüchern auf.
    »Wer kann das sein?«, fragte die Äbtissin besorgt ihre Sekretärin, Schwester Camilla. »Etwa der Prokurator?«
    »O nein, Mutter Oberin, der Prokurator hält sich immer noch in Montepulciano auf, dem neuen Kloster, das seinem Aufgabenbereich zugeordnet wurde«, antwortete die Schwester.
    »Aber – doch nicht etwa der Generalabt?« Diese Vorstellung schien die Äbtissin in nicht geringe Panik zu versetzen. Ängstlich beobachtete sie, wie die Tore geöffnet wurden und die Kutsche in den Klosterhof rollte.
    »Wenn er es ist, dann kommt er jedenfalls nicht mit seiner üblichen Kutsche«, bemerkte Schwester Camilla. »Und angekündigt hat er sich auch nicht.«
    Beide Nonnen schlugen hastig das Kreuzzeichen. Die Überraschungsbesuche des Generalabtes Saviano, des Ordensobersten, waren berüchtigt; er blieb meist mindestens vier Tage, hatte einen herzhaften Appetit und überdies eine ausgesprochene Vorliebe für den guten Klosterwein. Dass er während seiner Besuche den Nonnen des nicht sonderlich begüterten Klosters gewissermaßen die Haare vom Kopf fraß, schien ihm nicht bewusst zu sein.
    »Vielleicht ist es jemand für Fra Filippo«, spekulierte Schwester Camilla.
    »Vielleicht«, meinte die Äbtissin zweifelnd. Sie tätschelte die Hand der Jüngeren. Fra Filippo Lippi, der berühmte Karmelitermönch und Maler, stand zwar nicht gerade im besten Ruf – er schien, trotz Kutte, ein rechter Draufgänger zu sein und außerdem heillos verschuldet -, doch konnte die Mutter Oberin nicht umhin, beim Gedanken an ihn ein wenig zu lächeln. Sein Ruf, die schönsten Marienbilder in ganz Italien zu malen, wuchs, und die Äbtissin hoffte, dass sein Aufenthalt in Prato sowie seine kürzliche Ernennung zum Kaplan von Santa Margherita dem bescheidenen Kloster mit seinem Häuflein Nonnen ein wenig Ruhm und Wohlstand einbringen würde.
    Besagter Fra Filippo Lippi stand in diesem Moment in seinem Atelier unweit des Domplatzes. Auch er hatte die prächtigen Rösser vorbeitraben sehen. Als sie auf dem Domplatz auftauchten, hatte er rasch den Pinsel beiseite gelegt und war zum Fenster gestürzt.
    Die Sonne schien auf sein Gesicht; ein breites Gesicht mit ausgeprägten Zügen, einem starken Mund, buschigen Augenbrauen und markanten römischen Wangenknochen, dazu tiefblaue Augen. Die vorbeifahrende Kutsche war eher schlicht und der Mönch erkannte sofort, dass sie weder vom Karmeliterorden kam noch das Wappen der Medici trug. Wer immer dort drinsaß, er wollte jedenfalls nicht zu ihm, um irgendwelche Schulden einzutreiben oder ausstehende Arbeiten einzufordern.
    Als die Kutsche um die Ecke in die Via Santa Margherita gebogen war, wandte sich der Maler erleichtert dem Chaos in seiner Werkstatt zu. Obwohl er die Vierzig bereits überschritten hatte, bewegte er sich flink zwischen all den Töpfen und Tiegeln, die überall auf Tischen und Regalen herumstanden. Der Boden seiner
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