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Das Bildnis der Novizin

Titel: Das Bildnis der Novizin
Autoren: Laurie Albanese Laura Morowitz Gertrud Wittich
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würde. Sie nickte. Sollte das Mädchen das Hemd eben behalten. Die beiden Frauen, die alte und die junge, wechselten einen verständnisinnigen Blick.
    »Komm jetzt«, wiederholte Schwester Pureza, »es wird Zeit.«
    Lucrezia kniete in ihrer schwarzen Nonnentracht vor dem Altar der kleinen Kirche. Es roch nach Moos, nach alten, soliden Steinen. Schwester Pureza tauchte ihre Finger in eine Schale mit Weihwasser und zeichnete ein Kreuz auf Lucrezias Stirn.
    »Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes«, sagte sie. »Bist du bereit, allem Weltlichen abzuschwören und dem Heiligen Orden von Santa Margherita beizutreten, im Namen Jesus, des Sohnes, und der Heiligen Jungfrau Maria?«
    Schwester Pureza wartete geduldig, bis Lucrezia die Formel wieder einfiel, die ihr der Monsignore beigebracht hatte.
    »Ich bitte um die Gnade Gottes und seines Sohnes und um das Habit des Ordens der Augustinerinnen, auf dass ich eine würdige Braut Christi werde.«
    Nun wurde Lucrezia der mit einem blauen Streifen verzierte Schleier der Novizinnen angelegt. Sie schloss dabei nicht die Augen, wie es die meisten Neulinge taten, sondern beobachtete die Hände bei ihrer Tätigkeit, wunderte sich über deren Lavendelduft.
    »Dominus Christus«, sagte Schwester Pureza und zeichnete mit dem Daumen das Kreuzzeichen auf Lucrezias glatte Stirn. »Von nun an unterstehst du unseren Ordensregeln und bist eine Dienerin des Herrn. Erweise dich dieser Ehre würdig. Gelobt sei der Herr.«

2. Kapitel

    Am Dienstag der vierten Woche nach P fingsten, im Jahre des Herrn 1456
    L ucrezia stemmte sich gähnend von ihrer Schlafpritsche, tapste müde über den kühlen Steinboden zur Waschschüssel und spritzte sich Wasser ins Gesicht. Die Klosterglocke läutete zum Gebet. Jenseits der Klostermauern, in der Stadt Prato, regte sich noch nichts. Sie drückte ein paar Tropfen Saft aus einer frischen Zitrone und rieb sich damit die Zähne ab. Dann tastete sie nach ihrem Habit und zog ihn über ihre seidene Unterwäsche. Sie flocht ihr Haar, wickelte den Zopf auf und legte ihren Schleier an.
    Spinetta stand bereits draußen im Gang und wartete auf sie. Lucrezia umarmte ihre Schwester. Mit leisen Schritten und einer einzigen Kerze näherte sich eine kleine Schar von Nonnen. Die Schwestern folgten den anderen durch einen unterirdischen Gang zur Sakristei. Als sie die Kirche erreicht hatten, zog Spinetta einen kleinen Rosenkranz aus rosa Quarzperlen hervor. Er war ein Geschenk ihrer Mutter zur Firmung und Spinettas kostbarster Besitz.
    »Ich konnte ihn gestern einfach nicht hergeben«, flüsterte Spinetta und drückte das kleine, geschnitzte Holzkreuz an ihre Lippen.
    Da Lucrezia wusste, wie viel Trost selbst das kleinste Andenken an daheim spenden konnte, nahm sie der Schwester den Rosenkranz rasch aus der Hand.
    »Nein, den darfst du nicht hergeben«, sagte sie und steckte ihn ein. »Ich werde ihn sicher für dich aufbewahren.«
    Lucrezia und Spinetta nahmen im Schein flackernder Kerzen ihre Plätze neben der jungen Schwester Bernadetta ein, die bereits auf dem harten Steinboden kniete. Sie senkten den Kopf.
    Die sechzehn Nonnen des Klosters Santa Margherita knieten einander in zwei Reihen auf dem rauen Steinboden gegenüber und hießen den neuen Morgen mit dem Singen der Laudes , des Morgenlobs, willkommen. Danach folgte eine von Äbtissin Bartolommea mit gedämpfter Stimme vorgetragene Lesung aus der Heiligen Schrift. Als sie fertig waren und aus der Kirche traten, zeichnete sich ein dünner rosa Streifen am östlichen Horizont ab und ein Hahn krähte.
    Im Refektorium war der Frühstückstisch gedeckt. Auf einem langen Holztisch standen Holzteller und -becher, dazwischen kleine Körbe mit goldenen, ofenwarmen Brötchen, von denen sich jede Nonne eins nehmen durfte. Lucrezia, die zu ihrer eigenen Verwunderung feststellen musste, dass sie einen Bärenhunger hatte, zwang sich, langsam einen Bissen nach dem anderen zu nehmen. Dabei musterte sie, unter halb gesenkten Lidern heraus, verstohlen ihre Mitschwestern. Die meisten sahen nicht anders aus, als sie erwartet hatte: stumpfe Miene, faltiges Kinn, hie und da eine haarige Warze. Nur wenige hatten ein Leuchten in den Augen, die allermeisten sahen grau und verhärmt aus.
    »Die Augustinusregel, drittes Kapitel«, intonierte die Mutter Oberin, die von ihrem Platz aufgestanden war und ein abgegriffenes, in Leder gebundenes Brevier aufgeschlagen hatte.
    Während die Äbtissin mit monotoner Stimme vorlas, warf
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