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Das Bett

Titel: Das Bett
Autoren: Martin Mosebach
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auszufüllen, statt dessen war er dazu berufen, ihr Schicksal zu sein. Nach ihm war nicht mehr viel Raum in ihrem Leben für andere geblieben. Wer eine solche außergewöhnliche Frau als sein Opfer vorweisen konnte, der mußte selbst auch aus ganz ungewöhnlichem Holz geschnitzt sein, dieser Rückschluß lag für Stephan |496| im Bereich des Denknotwendigen. Wenn ein Mensch wie er die Erde betrat, dann ging nun einmal manches zu Bruch, ein Leben wie das seine verlief nicht ohne Tragödien, aber es war selbst keine Tragödie; zu lustvoll schlugen Stephans Pulse, und zu reich gesättigt von der liebevollen Hingabe vieler Menschen war sein für seine schlanke Gestalt auffällig geräumiger Magen. Aimées Verschwinden hatte sie ganz in seinen Besitz gegeben, ohne daß sie weiterhin seine Kreise hätte stören können. Sie bedrückte ihn, und sie bereicherte ihn, und es ist ganz gewiß, daß sich Stephan meiner Tante nicht in der gleichen Weise zugewandt hätte, wenn er Aimée nicht vorher begegnet und durch sie mit dem Stolz belohnt worden wäre, den eine große tragische Liebesgeschichte dem glücklich daraus Entkommenen verleiht. Hinzu kam, daß der Tod Aimées Stephans Bedürfnis wachhielt, in den Genuß eines alles Alter hinwegschwemmenden Tauchbades zu gelangen, das ihn wirklich gereinigt entließe, und so hatte er mittlerweile seinen Entschluß, in Frankfurt zu bleiben, schon soweit vorangetrieben, daß er die Koffer nicht packte und überzeugt war, damit ein erstes Hindernis für die Abreise geschaffen zu haben.
    Während Stephan Aimée starr vor Schrecken betrachtete, versäumte er die letzte Möglichkeit, schnell umzukehren und die Wohnung unter einem Vorwand sofort wieder zu verlassen. Vielleicht hielt ihn das Gefühl davon ab, daß es dafür nun zu spät sei. Daß Aimée noch am Leben war und auf ihn bei Ines Wafelaerts gewartet hatte, konnte von niemandem mehr beeinflußt werden. Die Welt war eine andere geworden. Stephan würde in ihr nichts mehr zu entscheiden haben. Er hatte vielmehr abzuwarten, was über ihn entschieden werden würde.
    Jetzt wandte Aimée den Kopf und erkannte Stephan, der wie angewurzelt im Türrahmen stand. »Sieh da, Stephan Korn«, sagte sie. Ihre Stimme klang gleichmütig, aber sie war blaß geworden, was Stephan nicht bemerkte, weil er gegen das Licht sah.
    Ines kam ins Zimmer und sagte: »Wie, ihr kennt euch?« Aimée antwortete nicht gleich und blickte Stephan weiter an. »O ja, wir kennen uns«, sagte sie dann, »das ist doch der Stifter meiner Ehe. Auch sonst ein großer Stifter. Wenn es zu schön |497| wird, muß er stiftengehen.« Ines’ Ahnungslosigkeit rettete die Situation nach außen hin. Sie war ganz aufgeregt über die Querverbindungen, die sich da unverhofft ergaben, und es entzückte sie, daß sie diese Verbindung zwar nicht selbst hatte vermitteln können, aber daß sie es einmal vorgehabt hatte, und im Triumph dieser Erinnerung erzählte sie ihren Gästen von diesem Plan aus den glücklichen Tagen vor dem Krieg, ihrem letzten Parisaufenthalt, der sich durch dies überraschende Erlebnis nun nachträglich vergoldete. Stephan und Aimée waren der Notwendigkeit enthoben, Konversation zu machen, nur Aimée mußte ein paar Antworten geben, denn Ines versuchte, nach den Reminiszenzen ihres verlorenen Paradieses, genauer herauszubekommen, wie Stephan nun wieder Aimées Ehe hatte stiften können.
    »Er hat mich in Narbonne mit einem Vetter von Eddi bekannt gemacht«, sagte Aimée und sah Stephan dabei fest an. Sie sprach langsam und leise, wie ein Hypnotiseur, der durch seine verschleierte Stimme seine Sätze doppelt tief in das Gemüt des Schlafenden senken will. »Den könntest du auch noch kennen, Adolf Frey war das, ein rechter Vetter mütterlicherseits von Eddi. Das war ein Hase, ein tapferer Hase. Er ist den Hasentod gestorben, beim Zickzack-Laufen durch die Macchia. Das paßte zu ihm. Ich werde den Tod einer Löwin im Zoo sterben. Du«, und ihr Blick wich nicht von Stephans Gesicht, »stirbst wie ein altes Schlachtroß, das man nicht auf den Schlachthof gibt.«
    »Und er?« fragte Ines, die solche Spiele liebte. »Oh, er«, sagte Aimée, »ach, das weiß ich nicht. Ich kenne ihn eigentlich nicht genug. Vielleicht habe ich auch vergessen, wie er war. Es kam manches Widersprüchliche vor.«
    Stephan saß steif in einem durchgesessenen Sessel. Der Schweiß stand ihm auf seiner Stirn. Er hörte kaum zu, auch wenn Aimée etwas Böses sagte, das halb in seine Ohren drang,
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