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Das Bett

Titel: Das Bett
Autoren: Martin Mosebach
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Reise tun wolle, der müsse sich schonen, und er sah zufrieden aus, als die Ankündigung meiner Mutter, es werde heute aber nur ein ganz einfaches Essen geben, weil sie im Grunde nicht mit vielen Gästen gerechnet |500| habe, nicht ausschloß, daß ein großes Stück Suppenfleisch in der Terrine mit klarer Gemüsesuppe lag, gekochtes Rindfleisch schätzte er über die Maßen. Zu meinem Vater sagte er, er habe festgestellt, wie sehr die Begriffe der Fortuna maior und der Fortuna minor, die doch aus ganz unchristlichen Bereichen stammten, in Wahrheit mit den Prinzipien der asketischen Praxis übereinstimmten; nur wer im kleinen zu verzichten wisse, erhalte die großen geistlichen Geschenke. »Ein spirituelles Grundwissen ist allen Kulturen gemeinsam«, schloß er voller Bonhomie und pustete auf den heißen Suppenlöffel, »und wir existentiellen Katholiken haben ohnehin immer etwas Paganes.«
    Eichhorn stand unter der Zwangsvorstellung, daß man von ihm eine mit bedeutenden Bemerkungen gespickte Unterhaltung als Gegengabe für das angebotene Mittagessen erwartete. Kaum saß er, da quälte ihn schon die Angst, es breite sich Enttäuschung über seine Schweigsamkeit aus, die Gastgeber machten schon lange Gesichter und bereuten im stillen bereits die Einladung, von der sie sich erheblich mehr versprochen hatten. Meine Mutter verstimmte gerade diese Angewohnheit des Seelenführers; in dem Groll, den sie auch gegen die entsprechenden Gesprächsgegenstände meines Vaters hegte, wurde sie schließlich von der fixen Idee ergriffen, auf jeden Fall eine Verständigung der beiden Männer zu verhindern, deren Neigung zu unverständlicher Literatur binnen kurzem dazu führte, daß sie selbst kein Wort mehr würde sagen können.
    »Nicht jetzt schon reden«, sagte meine Mutter mit gespielter Strenge, unter der die echte Ungeduld kaum verborgen war, »man muß essen, solange die Suppe heiß ist.« Wäre sie nicht damit befaßt gewesen, das mit Petersilienblättchen behaftete Fleisch aus der Terrine zu heben und auf einem Teller zu zerschneiden, hätte sie vermutlich auch noch erklärt, es enthalte eine Ungehörigkeit gegenüber der Köchin, wenn man ein Essen kalt werden lasse, eine Äußerung, die jedesmal die Illusion fröhlicher Entschiedenheit zerstörte und in ihrer Schärfe weit über das von ihr beabsichtigte Ziel hinausschoß. Mein Vater aß daraufhin gar nichts mehr, Disharmonie wäre aufgekommen, wenn nicht der |501| Monsignore, der seitens seiner Haushälterinnen viel erschreckendere Auftritte gewohnt war, mit einer Stimme, die lebenslange Dressur durch diese Frauen verriet, meine Mutter angesprochen und ihre Bouillon in den höchsten Tönen gepriesen hätte. In seinem ganzen Betragen zeigte er, daß er die Rangordnung, nach der die Kirche ihre Stärke zunächst in den Frauen zu bestätigen habe, begriffen hatte und daß er in Zukunft nicht nur dem Hausherrn, sondern vor allem auch der Hausfrau gerecht zu werden sich bemühen wolle. Meine Mutter nahm das Lob wie immer in vollständiger Naivität auf, als könne es nicht im geringsten Zusammenhang mit ihrem Fauchen stehen, sondern als sei es das Überquellen eines vom Staunen überwältigten Herzens. Sie liebte es, an einer solchen Stelle Rezeptmitteilungen zu machen, und schloß dann stets mit dem Geständnis, daß sie selbst sich noch nie in ihrem Leben an ein Rezept gehalten habe, sie koche rein nach ihrer Eingebung, habe so ihre eigenen Methoden, die besser zu ihr paßten als die Regeln der Kochbuchautoren, und sei selbst stets am meisten überrascht, wie ungewöhnlich gut ihr die Speisen gelängen. Sie sprach nicht anders, als es möglicherweise einer der Evangelisten getan haben könnte, wenn er dazu aufgefordert worden wäre, die Wirkung der Verbalinspiration zu beschreiben, und sie unterließ es zu beachten, daß sie sich, sowie ihr gelungen war, das Wort zu erobern, keineswegs anders zu verhalten dachte, als es der Monsignore und mein Vater taten. Die Männer hatten ihr von Jugend auf das Predigen vorgemacht, und sie konnte nun einmal der Versuchung nicht widerstehen, das Predigtamt, wenn sie es einem Mann entreißen konnte, ungesäumt selbst auszuüben.
    Auf einmal stand meine Tante am Tisch. Sie trug ihr Nachthemd und hatte die Baskenmütze aufgesetzt und man sah, wie voll ihre Arme waren, die nackt an ihrem Körper herunterhingen. Sie war sehr ungehalten. Ich glaubte, sie habe geschlafen und sei durch unsere Unterhaltung geweckt worden.
    »Wo ist Stephan?«
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