Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Bernsteinzimmer

Das Bernsteinzimmer

Titel: Das Bernsteinzimmer
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
und die drei mit ihm gekommenen Generäle mit einem resignierten Ausdruck im Gesicht, las Stalins Brief und nickte schwermütig. »Ich bin eben ein alter Mann«, sagte er müde. »Was sein muß, muß sein. Dies ist ein anderer Krieg als der Bürgerkrieg. Er muß anders geführt werden. Georgij Konstantinowitsch … wird Stalin mich liquidieren lassen?«
    »Sie sind ein alter Freund von ihm …«
    »Aber ich habe in seinen Augen versagt.«
    »Nein … die Deutschen waren nur schneller. Das ist alles. Was wird aus Leningrad? Ich weiß es nicht. Vielleicht folge ich Ihnen bald, Kliment Jefremowitsch. Ich werde vieles anders machen als Sie, aber ob es richtig ist, wird sich noch zeigen müssen. Ist diese Stadt zu retten? Können wir eine Belagerung durchstehen?«
    »Wir sollten mit dem Schlimmsten rechnen.« Woroschilow trat an das Fenster seines großen Arbeitszimmers und sah hinauf in den wolkenverhangenen Himmel. Es wird regnen, dachte er. Die Felder werden zu Sümpfen, die Straßen zu Schlammlöchern … Jetzt müßte ein langer Regen kommen und die deutschen Armeen ersaufen lassen. Noch kennen sie nicht Rußland, wenn die nasse Erde sie festhält und Pferd und Wagen, Menschen und Maschinen in ihr versinken. »Ich habe damit begonnen, die größten Kunstschätze aus den Schlössern zu retten. Skulpturen, Gemälde, Münzsammlungen, wertvolle Möbel, Gobelins, Kristall, Schmuck … Sehen Sie mich nicht so fassungslos an, Genosse Schukow. Ich habe aus Moskau genaue Instruktionen bekommen.«
    »Gemälde! Gobelins! Möbel! Dabei brauchen wir jede Hand, die ein Gewehr halten kann, und Sie lassen alten Bojarenschmuck aus den Glasvitrinen holen.«
    »Außerdem hatte ich nicht genug Transportmittel.« Woroschilow hob die Schultern, als friere er. Er ist wirklich ein alter müder Mann, dachte Schukow und empfand so etwas wie Mitleid mit dem Marschall.
    »Auch heute arbeiten Tag und Nacht vor allem Frauen daran, aus dem Katharinen-Palast in Puschkin das Wertvollste zu verpacken und hierher in die Gewölbe der Isaak-Kathedrale zu schaffen. Fast 20.000 Gegenstände haben sie schon weggebracht. Aber wenn der deutsche Vormarsch anhält, sind die Faschisten eher in Puschkin, als wir alles ausbauen können. Vor allem wird es unmöglich sein, einen der größten Schätze zu retten. Das Bernsteinzimmer …«
    »Bernsteinzimmer?« Schukow zog das Kinn an. Er hatte von diesem Saal mit seinen Mosaiken, Gemälden, Spiegeln und aus Bernstein geschnitzten Figuren an den Wänden schon gehört, aber ihn nie gesehen. Auch Fotos hatte er irgendwann in einer Zeitschrift betrachtet, ohne aber von der Ergriffenheit angesteckt zu werden, die man den Verfassern dieses Berichtes anmerken konnte. Nur Zorn, erinnerte er sich jetzt, war ihn damals überkommen bei dem Gedanken, wie verschwenderisch, ja verbrecherisch die Fürsten und Zaren gelebt hatten, auf dem Rücken des Volkes, der Bauern und Leibeigenen, der armen Kulaken, die man auspreßte bis aufs Blut. »Es ist nicht zu retten?«
    »Die Deutschen rücken genau auf Puschkin vor, und ich habe nicht genug Lastwagen. Außerdem ist es völlig unmöglich, daß die Frauen den ganzen Saal demontieren. Mehr zerstören als retten könnten sie. Meine Seele weint, Georgij Konstantinowitsch.«
    »Ich werde General Popow beauftragen, eine Sonderabteilung nach Puschkin zu schicken und das Bernsteinzimmer auszubauen.« Schukows Mitleid wuchs, als er sah, wie es um Woroschilows Lippen zuckte. »Wir werden zwölf Divisionen aus dem Baltikum zusammenziehen und daraus die 42. und 48. Armee bilden. Da werden wir doch eine kleine Sondereinheit abzweigen können.«
    »Wenn die Deutschen nicht vorher in Puschkin sind.«
    »Das weiß ich auch nicht. Ich weiß nur, daß wir uns an jedem Meter Erde festkrallen werden. Leningrad ist ein Fanal. Wir werden es den Deutschen nie, nie überlassen, auch wenn Stalin sagt, es sei eine fast hoffnungslose Lage. Fast hoffnungslos. An diesem fast halte ich fest.«
    Aber auch Schukow sah in den nächsten Tagen ein, daß es unmöglich war, das Bernsteinzimmer noch rechtzeitig nach Leningrad zu bringen. Die in drei Schichten arbeitenden Frauen im Katharinen-Palast von Puschkin, dem ehemaligen Zarskoje Selo, seit Peter dem Großen Sommersitz der Zaren, bekamen daher die Order, das kostbare Zimmer vor Zerstörung zu schützen. Sie stellten große Holztafeln als Splitterschutz vor den Bernsteinwänden auf und beklebten die großen, in der Sonne in allen Gelbtönen funkelnden Flächen mit
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher