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Das Bernsteinzimmer

Das Bernsteinzimmer

Titel: Das Bernsteinzimmer
Autoren: Heinz G. Konsalik
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befriedigt. Welch eine Rede, Genossen! Aber was half's? Die Achse war gebrochen, der Wagen lag fast auf der linken Seite, keinen Ersatz hatte man bei sich, wer denkt denn daran, daß so ein eisernes Mistding brechen kann, und mit Tauen zusammenbinden konnte man es auch nicht, zum Haareraufen war es, und außerdem wußte niemand, wie es nun weiterging. Ließ man den Wagen einfach liegen und fuhr weiter, oder holte man Hilfe von der nächsten Militärwerkstatt? Neun Werst war sie entfernt, das bedeutete, daß es Stunden dauern würde, ehe man eine neue Hinterachse bekam.
    Wechajew entschied, sich erst einmal am Waldrand hinzusetzen, eine Scheibe nassen Brotes mit einem Aufstrich aus Zwiebeln und Lebermus zu essen, eine Papyrossa zu rauchen und dann erst zu entscheiden, was man tun sollte. Seine Soldaten, im geheimen froh über diese Unterbrechung, denn keine Freude ist's, in einem engen Fahrerhaus stundenlang zu hocken und über holprige Straßen zu hüpfen, bis einem jeder Stoß vom Hintern längs durch den Körper bis unter die Hirnschale fährt, schwärmten aus, knöpften ihre Hosenschlitze auf oder zogen die Hose ganz herunter und hockten sich an Bäumen oder Büschen hin, um sich zu erleichtern.
    Auch der Soldat Viktor Janissowitsch Solotwin, ein junges Bürschchen, das sogar noch rot werden konnte, wenn die anderen rauhen Kerle schmatzend berichteten, wie und was sie mit ihrer Olga oder Warwa gemacht hatten, in der Scheune, im Stroh, hinter einer Heupuppe oder sogar – welch ein Schwein, dieser Nikita – auf der großen Hobelbank in der Schreinerwerkstatt seines Vaters, verspürte ein Drängen in den Därmen und ging tiefer als die anderen in den Wald hinein, eben weil er so schüchtern war und nicht gern sein nacktes Hinterteil zeigte.
    Langsam, die Finger schon am Gürtelschloß, suchte er einen guten Platz, möglichst hinter einem dichten Gebüsch, als er plötzlich etwas sah, das nicht in diesen Wald gehörte.
    Erde. Blanke Erde, wie sie bei einer Grabung ausgehoben wird. In einem Umkreis von etwa drei Metern lag sie über den Waldboden verteilt, und sie war festgestampft und geebnet worden. So etwas konnte weder von einem Hasen noch von einem Fuchs stammen, auch Marder, Nerze oder Waschbären verteilten nicht so korrekt die für ihre Höhlen ausgeworfene Erde. Hier war von einem Menschen gegraben worden, für Viktor Janissowitsch war das ganz klar, aber nicht klar war ihm, warum man in einem einsamen Wald, dazu noch im verfilzten Dickicht, den Boden aufriß.
    Mit einemmal verspürte er keinen Drang mehr, sich die Hose abzustreifen. Ein Gefühl von Gefahr stieg in ihm auf. Er überlegte, ob er zurückrennen und Unterleutnant Wechajew alarmieren sollte, aber wenn es sich dann herausstellte, daß nichts Ungewöhnliches zu entdecken war, würde man ihn nicht nur mit Spott übergießen, sondern Wechajew würde auch noch seine ganze Wut wegen der gebrochenen Achse an ihm auslassen. Also schweig, mein Lieber, dachte Solotwin, sieh erst einmal selbst nach, ein Feigling bist du nicht, Krieg ist ja, aber die Deutschen sind noch viele Werst von hier entfernt … was also kann es sein?
    Nein, ein Feigling war Viktor Janissowitsch nicht, nur hatte er bisher noch keine Gelegenheit gehabt, seinen Mut zu zeigen. Nicht einen deutschen Soldaten hatte er bislang erschossen, selbst gesehen hatte er noch keinen. Immer waren es nur Holzattrappen gewesen, sogenannte ›Pappkameraden‹, die unter seinen gutgezielten Schüssen umfielen und ihm Belobigungen seiner Offiziere eingebracht hatten. Doch, seien wir ehrlich mit ihm, ein wenig Zittern in den Knochen und ein drehendes Gefühl im Magen hatte er schon, wenn er daran dachte, einen richtigen Menschen durch ein bloßes Fingerkrümmen aus dieser Welt schaffen zu müssen. Nur davor hatte er eigentlich Angst, und deshalb wünschte er sich insgeheim – es auszusprechen war ja Feigheit und Verrat am Volk –, daß es bei seiner jetzigen Reinheit blieb. Sie kamen ja nur indirekt mit dem Feind in Berührung, denn ihre Aufgabe führte sie immer dorthin, wo noch Ruhe war, von den Luftangriffen der Faschisten einmal abgesehen. Er gehörte zu einer Sondereinheit, die überall dort auftauchte, wo man mit einer Eroberung durch die Deutschen rechnete, und die aus Klöstern, Schlössern und Museen so viele Kunstschätze bergen sollte, wie es in der kurzen Zeit möglich war. Drei Offiziere, Kunstexperten, fuhren immer einen Tag voraus, um die wertvollsten Stücke auszusuchen und zu
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