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Das Bernsteinzimmer

Das Bernsteinzimmer

Titel: Das Bernsteinzimmer
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Papier. Damit wollte man verhindern, daß Erschütterungen die Mosaiken sprengten und die Bernsteinstücke von den Paneelen platzten. Schließlich trugen die Frauen alle beweglichen Kunstschätze wie Büsten aus Bernstein, einen großen Bernsteinsekretär, Tische aus Bernstein und zierliche Schränkchen zu den letzten Lastwagen, die von der Armee zum Transport von Lebensmitteln, Munition, Geschützen, Zement, Eisengeflechten und neuen Regimentern dringender gebraucht wurden als zur Rettung von Kunstschätzen.
    »Ich habe auch Hunderttausende von Männern, Frauen und Kindern zu retten!« sagte Schukow einmal in jenen Tagen zu General Sinowjew, der bei einer Lagebesprechung die Aufgabe der Kunstwerke bedauerte. »Edelsteinbesetzte Tabakdosen können nicht schießen! Jammern Sie nicht länger über einen goldenen Stuhl, jammern Sie mehr über die Menschen.«
    »Die Faschisten werden alles wegschleppen. Stehlen werden sie unersetzbare Gemälde, Skulpturen, Bücher. Rußland wird, auch wenn wir den Krieg gewinnen, ein armes Land sein.« Sinowjew holte einen Zettel aus seiner Uniformtasche. Er war ein großer Kunstliebhaber, der stundenlang in einem Museum vor einem Rembrandt sitzen konnte oder in der Eremitage von Leningrad durch die zahllosen Räume wanderte. Einmal war er drei Tage lang hintereinander dort gewesen, um das Museum der wertvollsten Kunstschätze der Welt, nur vergleichbar mit dem Pariser Louvre, in seiner ganzen Pracht zu erleben, und war am Ende schier trunken von dem Gesehenen nach Hause gekommen. »Ich habe Informationen von unseren Spionen. Überall, wo die Deutschen Städte und Schlösser eroberten, ist gleich nach den kämpfenden Truppen ein sogenanntes Sonderkommando am Ort, um alle Kunstgegenstände abzutransportieren. Die Deutschen haben bisher geraubt in 427 Museen, 1.670 russisch-orthodoxen und 237 römisch-katholischen Kirchen, 69 Kapellen, 532 Synagogen, 258 anderen kirchlichen Gebäuden, 334 Hochschulen und 43.000 öffentlichen Bibliotheken. Was dort alles weggeschleppt wurde, werden wir nie wiedersehen.«
    »Fleißige Spione, wirklich fleißig«, sagte Schukow mit einem spöttischen Unterton. Er nahm Sinowjew den Zettel aus der Hand, zerknüllte ihn in seiner Faust und warf das Knäuel dann unter den Kartentisch. »Und was melden Ihre fleißigen Spione über die Truppenstärke der Deutschen, ihre Bewaffnung, ihre Ziele, ihren Nachschub, ihre Stimmung, ihre wirklichen Verluste?«
    General Sinowjew schwieg. Wie recht hat er, der Marschall, dachte er. Man sollte ihn nicht weiter reizen. Immer enger wird die Umklammerung Leningrads, unser Widerstand ist heldenhaft, ja, das ist das richtige Wort, heldenhaft, aber die Deutschen rücken weiter vor, sind nicht aufzuhalten. In zehn oder vierzehn Tagen werden sie durch die Straßen der Stadt marschieren, mit Fahnen und dröhnender Musik, wie vor einem Jahr durch Paris. Und sie werden überall plündern, die Kunst der ganzen Welt werden sie besitzen, den Louvre in Paris und die Eremitage, die Schatzkammer Rußlands. Ich bin noch einer, der an Gott glaubt. Also, Gott im Himmel, laß es nicht zu! Schütze unser Leningrad, auch wenn es nach dem Mann genannt wurde, der sagte: »Religion ist Opium fürs Volk.« Vergiß nicht, Herr, daß diese Stadt einmal Sankt Petersburg hieß. Eine heilige Stadt. Strecke deine Hand aus und halte die Deutschen auf. Schenk uns ein neues Wunder.
    »Woran denken Sie, Witalij Bogdanowitsch?« riß ihn Schukows Stimme in die Wirklichkeit zurück. »Ihr Blick ist weit weg …«
    »An ihre Worte denke ich, Genosse Marschall.« General Sinowjew beugte sich über die große Karte von Leningrad und Umgebung. Eine vorzügliche Karte. Jeder Bach war eingezeichnet, jeder Fabrikschornstein, jeder Tümpel, jeder schmale Waldweg. Und auch Zarskoje Selo, das heute Puschkin hieß, der Katharinen-Palast mit dem Bernsteinzimmer. »Nachschub ist wichtiger als ein Gemälde von Tintoretto.«
    An diesem 12. September 1941 nun hielt die kleine Kolonne mit Unterleutnant Wechajew auf der glitschigen Waldstraße westlich von Puschkin, und Lew Semjonowitsch stieß so wilde, unanständige, ja schweinische Flüche aus, daß seine Rotarmisten ins Staunen kamen. Ein so junger Kerl und solche Ausdrücke! Wo hat man so etwas schon gehört? Nennt die gebrochene Hinterachse eine vertrocknete Hure, die der Satan fickt, und den unschuldigen Fahrer des Lastwagens, den Gefreiten Sliwka, beschimpft er als verblödeten Affen, der sich wohl während der Fahrt selbst
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