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Das Beben

Titel: Das Beben
Autoren: Martin Mosebach
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zusammen, aus denen die Hände groß und braun hervorragten; wie die Hand die Stockkrücke hielt, daran war Willenskraft und zupackendes Festhalten abzulesen. Er kam von weither über den spiegelglatten Steinboden und sank in einem Sessel zusammen, so daß die Anzugjacke sich hob und die Revers sich im Nacken auftürmten. Es war, als werde er in seinen Anzug hineingezogen.
    »Sie sind der junge Mann, der mit Herrn Doktor Grothe arbeitet«, begrüßte er mich, und tatsächlich war dieser Grothe in seiner Firma mein häufigstes Gegenüber, ein fleißiger, etwas enttäuschter Mann, der für eigentlich unrentable Hotelprojekte abgestellt war – in Prospekten machten die Arbeiten freilich etwas her, wahrscheinlich war es der Werbeeffekt, der Kross & Gran bewog, sich mit solchen Winzigkeiten zu belasten.
    »Grothe ist mein Sorgenkind«, sagte Gran, »mir ist Grothe oft nicht mutig genug. Ich sage das nicht hinter seinem Rücken, ich habe es ihm selber schon oft gesagt.«
    Gerade das war nicht richtig. Gran konnte in seiner Schwäche und in dem Gefühl, die Entwicklung nicht mehr in Händen zu halten, der Versuchung zur Intrige nicht widerstehen und hatte sich deshalb darauf verlegt, die jüngeren Partner in deren Abwesenheit recht harsch zu kritisieren. Zum Glück kam das Gespräch jetzt auf die afrikanischen Masken. Ich hätte zur Frage des Mutes von Dr. Grothe ungern Stellung nehmen wollen. Gran sagte, er sei ein Sammler der ersten Stunde. Er habe nicht wie die dummen Deutschen erst nach dem Zweiten Weltkrieg entdecken müssen, daß die plastische Kunst des schwarzen Kontinents nicht weniger aufregend sei als die der Griechen. »Ich habe schon in den zwanziger Jahren in Verbindung mit Michel Leiris gestanden.« Die erste Maske habe er nebenbei in Belgien erworben, das sei damals eine Fundgrube gewesen.
    »Wenn ich daran denke, was die Stücke damals gekostet haben«, diesen Satz ließ er unvollendet wie ein alter Wüstling, den bei der Schilderung vergangener Liebesabenteuer die Erinnerung überwältigt. »Ich war jung, ich hatte keinen Pfennig Geld, aber was ich hatte, habe ich für afrikanische Kunst ausgegeben.« Er habe nebenbei Picasso gekannt. Nicht sehr gut, sei ihm aber mehrfach begegnet. »Er wollte mich malen, er sagte, meine Nase sei kubistisch.«
    Frau Gran schien an dieser Vorstellung etwas Fragwürdiges zu finden, sie schüttelte verständnislos den Kopf.
    »Das war vor deiner Zeit, my darling.« Die englischen Wörter sprach er so überscharf aus, daß ich nicht wußte, ob er sie im Spaß gebrauchte, ein explizites »my darling« kam allerdings später noch wiederholt, ich vermutete deshalb, daß er dem abgegriffenen Kosewort durch zelebrierende Aussprache seine shakespearische Würde zurückzugeben wünschte.
    »Wieso kam es nicht zu dem Porträt?«, fragte Frau Gran, und hier hatte ich den sicheren Eindruck, daß sie diese Frage schon häufig gestellt hatte, womöglich bei jedem Besuch, den ihr Mann empfing, ein ehegattenhaftes Stichwortgeben, als sei die Frage nach einem immerhin möglich gewesenen Picasso-Porträt noch niemals zwischen ihnen erörtert worden.
    »Ich glaube nicht mehr an Porträts«, antwortete Gran, und so leise er knarrte und zirpte, es lag doch Triumph in seinen Worten. »Und Picasso gab mir sogar recht: Ein Porträt sei nur erlaubt, wenn es unähnlich sei.«
    »Köstlich«, sagte Frau Gran und schenkte cognacfarbenen Tee nach.
    Absatzklacken in der Ferne ließ Herrn Gran aus den Tiefen seines Anzugs in die Höhe fahren. »Manon? Ist sie noch im Haus?« sagte er gedämpft und zugleich alarmiert zu seiner Frau. Der Gleichmut, der souveräne Umgang mit den großen Phänomenen der Zeit war wie weggeblasen aus seiner Miene. Er war wie ein Kind, das die Mutter in der Nähe ahnt und das fürchtet, sie könne ihm dennoch entkommen. Aber die Schritte näherten sich. Er durfte sich beruhigen. Er zwang sich wieder zu Disziplin und wandte sich mir mit der bereits erprobten Miene kritischer Gleichgültigkeit zu. Nein, er würde keinesfalls die Stimme heben, um Manon zu rufen.
    Und er wurde belohnt. Hinter seinem Rücken erschien ein großes schönes Mädchen, mit einem vielfältig gemusterten Kaschmirschal über der Schulter, so lang, daß er hinter ihr auf dem Boden schleifte, legte ihre große und zugleich zarte Hand auf seine Wange, neigte sich zu ihm herab und küßte mit geschlossenen Augen voller Liebe seinen Kopf. Er ließ sich zurücksinken. Die Mutter verfolgte den Austausch der
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