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Das Beben

Titel: Das Beben
Autoren: Martin Mosebach
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Brücke ästhetischer Verbindlichkeit vom Mittelalter in unsere Zeit. Der Film und das Hotel.
    Wenn keiner mehr weiß, was mit dem verlassenen Schloß, dem säkularisierten Kloster, dem aufgegebenen mittelalterlichen Weiler, dem frühklassizistischen Gefängnis, der uralten Mühle, mit den Scheunen, Ställen, Landgütern, Gründerzeitfabriken und alten Bahnhöfen anzufangen sei, nachdem das Gesetz verbietet, sie einfach abzureißen, dann kommt unfehlbar die Erleuchtung: das Hotel. Vorbei ist die Zeit, in der das Hotel ohne weiteres von außen als solches zu erkennen war, vom ländlichen Gasthof bis zum Badehotel der Belle Époque, nein, es ist sogar umgekehrt: Ein mit großem Aufwand gebautes Gründerzeithotel kann nur selten noch als Hotel genutzt werden, da müssen Büros und Apartments und Ladengalerien und Kulturzentren hinein. Dafür gibt es nichts auf der Welt, was nicht Hotel werden könnte. Auch früher sind Häuser heruntergekommen. Die Abtei wurde Irrenhaus, das Schloß Gefängnis, die Kirche Kornspeicher. Die Hotelisierung aber macht etwas anderes mit den alten Häusern. Als wirklicher Kenner und Nutznießer der Materie weiß ich, daß die Natur eines Schlosses bei der Verwandlung in ein Irrenhaus weniger leidet als bei der Umgestaltung in ein opulentes Hotel. Erst das Hotel macht die einsam auf dem Felsvorsprung ins Meer ragende Burg zur Kulisse. In Frankreich wurden nach der Dreyfus-Affäre viele Klöster geschlossen und profanen Zwecken zugeführt, ich kenne ein tausendjähriges, das zur Knopffabrik wurde. Die Wege im Park sind heute noch mit rundgestanzten farbigen Muschelresten bestreut. In der Verletzung, die das Fabrikwesen für die heiligen Mauern bedeutete, war immer noch etwas von dem Kampf zwischen Christentum und Illuminismus zu spüren. Würde dieser Komplex zum Hotel, wozu er sich gut eignete – Klöster geben viel bessere Hotels als Schlösser –, dann sähe er von Ferne womöglich wieder viel klösterlicher aus, teuer restauriert, das Feldsteinmauerwerk mit der Zahnbürste zu hellem Gelb gereinigt und wäre doch nur ein säuberlich abgenagtes und präpariertes Gerippe.
    Was macht ein altes großes Haus zum Hotel? Es ist der Swimming Pool zwischen den Barockrabatten. Nachts leuchtet er magischer als die Blaue Grotte in Capri und beweist, daß der störrische alte Palast nun endlich unter das bequeme Joch der Nutzbarkeit gezwungen worden ist. In Kalifornien gibt es Täler, die tagsüber in stiller Ländlichkeit dazuliegen scheinen – aber wenn es dunkel wird, beginnen überall bis an den Fuß der hohen Berge die Swimming Pools zu glühen wie Katzenaugen im nächtlichen Dschungel. Das ganze Land wird zur Papierlaterne aus schwarzem Karton, mit türkisen Transparentpapierlöchern, durch die die Realitäten hervorblitzen, das ausländische Geld, das sich auf seinem beständigen Kreisen um die Weltkugel für nur einen winzigen historischen Augenblick hier niedergelassen hat und vielleicht morgen schon anderswo ist. Verlöschen wenigstens dann die Swimming Pools? Gegenwärtig kommen eher noch neue hinzu, und ich bin nach Kräften daran beteiligt. Ich bin für meine organisch wirkenden, für meine sich »schonungsvoll in das Ensemble einfügenden« Swimming Pools berühmt – was es gar nicht gibt, so viel phosphoreszierendes Türkis kann kein Zauberkünstler verstecken. Ich zwänge Schwimmbecken zwischen Klippen, vor Orangerien, in Zitronenhaine, hinter barocke Follies und in gotische Waschhäuser. Die Pool Bar trägt ein originales Mönch- und Nonnendach aus alten, von mir gelegentlich selbst zusammengesuchten Ziegeln, in Riesentonkübeln mit Mediceer Wappen blüht Oleander.
    Nein, wir machen das gut – man gestattet doch, daß ich, während ich mich hier anpreise, zu meinem hochstaplerischen »Wir« zurückkehre?
    Große alte Häuser zeichneten sich einst vor allem durch den ungenutzten Platz in ihnen aus. Vor den Salons lagen Vorzimmer, die nur zum Durchschreiten da waren. Von den Korridoren öffneten sich zahlreiche Türen zu Zimmern, in denen nur selten einmal jemand schlief. Kabinette, Speicher, Keller, Vorratskammern, Turmzimmer, die niemals jemand betrat, legten einen Kranz um die tatsächlich bewohnten Räume. Die vergessenen, die leeren, die verstaubten Zimmer, immer abgeschlossen und nur mit dem großen Schlüsselbund der Beschließerin zu öffnen, waren die schlafenden Möglichkeiten des Gebäudes, wie ein Mensch unentwickelte Talente besitzt – es hätte im Leben alles auch
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