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Das Beben

Titel: Das Beben
Autoren: Martin Mosebach
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anders kommen können, warum ist man nicht Opernsänger geworden, die Stimme war da. Aber wir Zeitgenossen dulden nichts Potentielles. Alles muß ans Licht gezerrt werden. Jeder gemauerte Weinkeller, dessen Reiz gerade darin bestand, daß man ihn selten, allein und mit einer Taschenlampe betrat, muß zum Kellerrestaurant ausgebaut werden, Pferdeställe zu Maisonette-Apartments, Speicher zu Ateliers mit Riesenfenstern und angestrahlten Dachkonstruktionen. Kein Haus darf sein Geheimnis behalten. Nirgendwo könnte noch ein vergessener Koffer stehen, in dem Generationen später Manuskripte oder silberne Suppenlöffel oder zerfallene Seidenkleider gefunden werden. Weil das Haus bis auf den letzten Quadratzentimeter genutzt ist, erscheint es plötzlich klein. Ohnehin ist es nur noch Anhängsel, dekorative Brosche an dem Trakt, der daneben hochgezogen wird und der aussieht wie überall auf der Welt.
    Kann man seine Arbeit eigentlich gut machen, wenn man derart über sie herzieht, wie ich das hier tue? Die Frage ist beantwortet: durch meinen Erfolg. Im letzten Jahr sauste ich zwischen einem Weingut in Portugal, einer Kreuzritterburg auf Rhodos und einem neugotischen Schloß in Mecklenburg hin und her. Und macht mir denn dies systematische Ausblasen von oft nur schwach flackernden Flämmchen der Vergangenheit vielleicht gar noch Spaß? Es macht mir einen gewissen Spaß. In meinem Innern gibt es einen für mich unentwirrbaren Salat von Ressentiments: gegen unfähige, aber erfolgreiche Stadtplaner, gegen dumme Hotelentwickler, gegen die unverschämte Souveränität alter Häuser, gegen die Unmöglichkeit, etwas gelungenes Altes auch nur annähernd nachzuahmen, gegen reiche Leute, gegen arme Leute.
    Und dann hat meine Arbeit inzwischen unverwischbare Spuren in meinem Leben hinterlassen. Ohne sie hätte ich niemals Manon kennengelernt, und ohne sie wäre ich nicht nach Sanchor gefahren.

3.
Zurück zur Natur
    Durch meine Arbeit habe ich Manon kennengelernt, und durch meine Arbeit bin ich ihr wiederbegegnet und habe mich ihr von einer neuen, unerwarteten Seite angenähert. Sie war keineswegs verlegen, als sie später davon erfuhr. Wenn etwas herauskam, was sie kunstvoll verschleiert hatte, blieb sie stets so gleichgültig, daß man sich fragte, warum sie ihr Camouflage-Werk überhaupt betrieb.
    Daß meine Auftraggeber ein besonders luxuriöses »ökologisches Hotel« planten, war nun wirklich keine ausgefallene Idee, und der Künstler, der es gestalten sollte, hatte sich sein esoterisches Air zwar bewahrt, baute aber längst in ganz Mitteleuropa höhlenhafte Wohnsiedlungen, organische Bahnhöfe und von russisch-bayrischen Goldkuppeln überragte Kraftwerke. Er war nicht mehr jung, aber Kunstzeitschriften und Fernsehen vermittelten ein jugendliches Bild von ihm. Sein langer Bart war noch dunkel, obwohl von Silberfäden durchzogen, sein magerer Körper dunkelbraun gebrannt. Er war ein Gymnosoph und zeigte sich gern in der ernsthaften, unschuldsvollen Nacktheit eines soeben im Amazonasgebiet entdeckten Indianers. Inzwischen hatte er ein Museum seiner selbst geschaffen, einen großen Häuserblock mit einem Restaurant voller Palmen, mit Ausstellungsräumen, die den rechten Winkel vermieden, und einer Dachgartenwohnung für sich und seine Familie, die aber nur selten bewohnt wurde. Meist lebte er auf seinem großen Segelboot, auf einer Insel im Mittelmeer oder auf seinem von biologisch gedüngten Gemüsefeldern umgebenen Landsitz in Kärnten. In den fünfziger Jahren hatte er von Paul Klee inspirierte bunte Spiralbilder gemalt, die aber den Dekorationen australischer Aborigines huldigen sollten, und war damit berühmt geworden. Jetzt ging es darum, die damals gefundene Formensprache zu vervielfältigen und jeden Ort der Welt, der sich dafür anbot, mit einer vereinfachten Version dieser frühen Bilder zu schmücken. Es war, als sollten die Farbspiralen der Aborigines, aus den Rahmen befreit und auseinandergerollt, ganze Länder umspannen, nach dem Vorbild von Dido mit jener Kuhhaut, die in Spiralstreifen geschnitten immerhin die Grenzen des zu gründenden Karthago markierte.
    Ich nahm es hin, daß ich nicht der einzige war, der dem Meister an dem Vormittag, da er mir eine Audienz in der Museumscafeteria gewährte, ökonomische Vorschläge unterbreiten sollte. »Meister« war übrigens die vorgeschriebene Anredeform innerhalb der Mauern des Museumskomplexes. Der Künstler hatte erkannt, daß »Professor« zu seiner Nacktheit einen
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