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Das Beben

Titel: Das Beben
Autoren: Martin Mosebach
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begrenzten Plätzen austobten, schon etwas zur Pflasterung eines solchen Platzes eingefallen? Asphaltbahnen, Beton- und Kunststeinplatten, die bereits nach kurzem zersprangen und sich verschoben, bedeckten meist ein wahrhaft grenzenloses Elend. Zu diesen maßlosen Plätzen und Boulevards gehörten die mickrigen Grasbüschel, die sich zwischen den Ritzen unweigerlich ausbreiteten und bereits die bevorstehende Verwahrlosung ankündigten.
    In meiner vollgestopften, luftlosen, in ihrem Innern dunklen Idealstadt, die ihren Bewohnern wie ein Innenraum erscheinen würde, sollte es überhaupt keine Pflanzen geben, kein Gras, keine Geranien, keinerlei dekorative Stadtbegrünung und Blumenbeete, man sollte sich in Steinschluchten bewegen und das Himmelsblau hoch über sich in geometrischen Ausschnitten sehen. Meine Illusionen kamen mir schon nach den ersten Monaten auf der Technischen Hochschule abhanden. Ich sah, daß ich überhaupt nicht wie ein Architekt empfand und urteilte. Es ging gar nicht um das Bild einer Stadt, wie es sich etwa auf meinen Poussin-Landschaften präsentierte: kristallin, geballt, ineinandergesteckt, oder in abgeschwächter Form auf Merian-Veduten, wo die Städte viel ordentlicher und geheimnisloser, aber doch immer noch als zusammenhängende Körper erschienen. Man hatte sich von dem Gesamtbild einer Stadt längst verabschiedet. Mein malerischer Blick war völlig fehl am Platze. In meiner Anlage zum Dekorativen, zum Bühnenbildmäßigen, zu alldem, was eben in dem nicht ganz unproblematischen Begriff »malerisch« enthalten ist, lag von vornherein etwas Unprofessionelles. Ich wollte mich am Anblick eines Gebäudekomplexes offenbar erwärmen wie an einem Kaminfeuerchen. Nun, mit Kaminfeuern sollte ich in der Zukunft dann derart gründlich zu tun bekommen, daß sie ihren herzstärkenden Reiz für mich schließlich verloren. Das Studium schloß ich dennoch mit einem ordentlichen Diplom ab. Ich habe dann Jahre damit zugebracht, Tiefgaragen und Aufzugsschächte zu berechnen, aber dann gelang der Befreiungsschlag. Heute bin ich ausschließlich mit den schönen, oder vielmehr den schönheitlichen Aspekten des wohlhabenden Lebens befaßt.
    »Wir planen für Sie das besondere Luxushotel«, heißt es in unserem auf Bütten gedruckten, mit eingeklebten Tiefdruckphotos ausgestatteten Prospekt. Das »Wir« bedeutet, daß ich meiner Beschäftigung nicht allein nachgehe – das könnte ich gar nicht, die eigentliche Bauerei habe ich von meinen Schultern gewälzt, wechselnde freie Mitarbeiter und manchmal kleinere Büros ziehe ich hinzu, wenn es ernst wird mit einem Projekt, aber das Entwickeln der »Idee«, wie man jeden bescheidenen Einfall heute zu nennen pflegt, das ist allein meine Sache und bringt auch das Geld. Mit Arbeit verdient man bekanntlich nicht viel, je anspruchsvoller sie ist, desto mehr muß man womöglich draufzahlen. Pessimistische Kulturkritik ist leider wohlfeil; wer die entsprechende Klage anstimmt, hat stets die Mehrheit auf seiner Seite. Unversehens sitzt man mit den unerfreulichsten Zeitgenossen in einem Boot, von denen keiner daran denkt, beim eigenen Haus auch nur einen Pfennig mehr für Schönheit und Solidität auszugeben. Und so ist mein Geschäft, das so viel abwechslungsreicher und reizvoller ist als die übliche Architektenfron, denn auch mit der allgemeinen, letztlich von jedermann gewollten ästhetischen Misere aufs engste verbunden.
    Ich nämlich lege meine Hand an schöne, gelegentlich sogar spektakulär schöne alte Gebäude, die zwar zuweilen vom Verfall bedroht sind, jedoch ihre Geschichte, ihre nach heutiger Rechnung wahrhaft unbezahlbaren Mauern, das anmutige Auf und Ab ihrer eingesunkenen Ziegeldächer, ihre Lage, die die Schönheit der Landschaft nicht nur nicht stört, sondern sie vielfach noch steigert, als habe die Landschaft von Anbeginn nur auf diese Ergänzung von Menschenhand gewartet, die all das über Jahrhunderte bewahrt haben. Ich nehme an einem der wirkungsvollsten Anschläge auf die europäische Kultur teil: an der Hotelisierung der Welt.
    Das höchste Lob, das der Zeitgenosse zu spenden vermag, wenn er eine guterhaltene Stadt, ein pittoreskes Gemäuer, ein unzerstörtes Interieur besichtigt: »Hier müßte man einen Film drehen.« Die Verwendung als Hintergrund für Drehbuchdialoge ist tatsächlich die einzige Form der Nützlichkeit, die man solchen in die Gegenwart gelangten architektonischen Zimelien noch zuzuerkennen vermag. Nur der Film schlägt noch eine
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