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Das Auge der Ueberwelt

Das Auge der Ueberwelt

Titel: Das Auge der Ueberwelt
Autoren: Jack Vance
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Halbkugel. »Ein genaues Duplikat, identisch in Farbe und Form? Keine einfache Sache, bei einem so reinen und satten Violett. Eine solche Farbe ist in Glas sehr schwierig zu arbeiten, weil es kein spezifisches Einfärbemittel gibt. Alles ist eine Sache der Erfahrung und des Fingerspitzengefühls. Immerhin – ich werde eine Schmelze vorbereiten. Wir werden sehen.«
    Nach mehreren Versuchen produzierte er ein Glas von der geforderten Tönung. Aus diesem Material fertigte er eine Halbkugel, die auf den ersten Blick nicht von der magischen Linse zu unterscheiden war.
    »Ausgezeichnet!« erklärte Cugel sachverständig. »Und was verlangen Sie dafür?«
    »Eine solche Halbkugel aus violettem Glas bewerte ich mit einhundert Terzen«, erwiderte der Glasbläser gleichmütig.
    »Was?« schrie Cugel entrüstet. »Sehe ich so leichtgläubig aus? Die Forderung ist übertrieben.«
    Der Glasbläser räumte sein Werkzeug auf und zeigte kein Interesse für Cugels Empörung. »Das Universum legt keine wahre Stabilität an den Tag. Alles fluktuiert, alles ist von Veränderung durchdrungen. Meine Preise, die ein Teil dieses Kosmos sind, gehorchen den gleichen Gesetzen und variieren je nach der Bedeutung, die meine Arbeit für den Kunden hat.«
    Cugel wich mit theatralischer Gestik zurück, worauf der Glasbläser Zugriff und sich in den Besitz beider Halbkugeln brachte. »Was soll das heißen?« rief Cugel.
    »Ich werfe das Glas in die Schmelze zurück; was sonst?«
    »Und was ist mit der anderen Halbkugel, die mein Eigentum ist?«
    »Ich behalte sie als ein Erinnerungsstück an unser Gespräch.«
    »Halt!« Cugel holte tief Atem. »Ich könnte bereit sein, Ihren exorbitanten Preis zu bezahlen, wenn die neue Halbkugel so klar und vollkommen wäre wie die alte.«
    Der Glasbläser inspizierte erst eine, dann die andere. »Für mein Auge sind sie identisch.«
    »Wirklich?« sagte Cugel höhnisch. »Und wie ist es mit der Einstellung der Brennweite? Halten Sie beide an Ihre Augen und sehen Sie durch.«
    Der Glasbläser hielt beide Halbkugeln vor seine Augen. Eine gewährte ihm Einblick in die Überwelt, die andere zeigte die Realität. Der Glasbläser wankte und wäre gefallen, hätte Cugel ihn nicht gestützt und zu einer Bank geführt, um die Halbkugeln zu schützen. Dann nahm er die beiden Stücke an sich und warf drei Terzen auf den Arbeitstisch. »Alles ist Veränderung, und so sind Ihre hundert Terzen zu dreien geworden.«
    Der Glasbläser murmelte benommen und versuchte die Hand zu heben, aber Cugel verließ seine Werkstatt und kehrte ins Gasthaus zurück. Hier legte er seine alten Kleider an, die von den Widrigkeiten der langen Reise schmutzig und zerrissen waren, und machte sich auf den Weg.
    Als er die Uferstraße entlangwanderte, bereitete er sich auf die bevorstehende Konfrontation vor und versuchte, jede mögliche Entwicklung vorauszusehen. Weiter vorn glänzte das Sonnenlicht auf grünem Glas: Iucounus Haus!
    Cugel blieb stehen und blickte zu dem exzentrischen Bauwerk auf. Wie viele Male hatte er sich während seiner langen Wanderschaft vorgestellt, daß er hier an diesem Fleck stehen würde, im Begriff, mit dem Lachenden Magier abzurechnen!
    Er ging den gewundenen Weg aus gebrannten Ziegeln hinauf, und jeder Schritt verstärkte die Anspannung seiner Nerven. Er kam zum Eingang und sah ein Objekt an der Tür, das er bei seinem letzten Besuch nicht bemerkt hatte: ein in das alte Holz geschnitztes Gesicht, hohlwangig und mit entsetzten Augen, der Mund in einen Schrei der Verzweiflung oder des Trotzes weit geöffnet.
    Ein Frösteln ergriff seine Seele, und er ließ die schon zum Klopfen erhobene Hand wieder sinken. Er zog sich vor dem hageren hölzernen Antlitz zurück und wandte sich um, dem Blick der blinden Augen zu folgen – über den Xzan und weiter über die düsteren kahlen Hügel, die das Land wellten, so weit das Auge reichte. Er überprüfte seinen Operationsplan. Gab es einen Fehler? Bestand Gefahr für ihn selbst? Nichts dergleichen war erkennbar. Wenn Iucounu den Ersatz entdeckte, konnte Cugel sich immer auf einen Irrtum berufen und die echte Halbkugel übergeben. Das Risiko war gering, der mögliche Gewinn groß! Cugel wandte sich wieder der Tür zu und schlug an das Holz.
    Eine Minute verging. Langsam schwang die schwere Tür zurück. Kühle Luft, die einen bitteren Geruch mit sich trug, wehte ihn an. Schräg einfallendes Sonnenlicht umrahmte seinen Schatten auf dem Steinboden. Cugel spähte zögernd in die
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