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Das Anastasia-Syndrom

Titel: Das Anastasia-Syndrom
Autoren: Mary Higgins Clark
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Sie bemühte sich um einen neutralen Tonfall.
    »Stephen, schön, dich zu sehen. Kennst du Dr. Patel?«
    Stephen nickte Patel kurz zu, hakte sie unter und steuerte sie zum anderen Ende des Raumes. »Darling«, murmelte er, »warum um Himmels willen verschwendest du auch nur ein Wort an diesen Scharlatan?«
    »Er ist kein…« Judith hielt inne. Von Stephen Hallett konnte man wohl am allerwenigsten erwarten, daß er Dr. Patels Theori-en beipflichtete. Die Zeitungen hatten bereits über Patels These berichtet, daß Stephen ein geeigneter Kandidat wäre, Disraelis Geist zu rezipieren. Sie lächelte ihm zu, ohne sich in diesem Augenblick darum zu kümmern, daß fast sämtliche Anwesenden sie beobachteten.

    Die Szene geriet in Bewegung, als die Premierministerin von der Gastgeberin an der Tür begrüßt wurde. »Oft lasse ich mich nicht auf diesen Cocktailparties sehen, aber Ihnen zuliebe…«
    sagte sie zu Fiona.
    Stephen legte den Arm um Judith. »Es wird allmählich Zeit, daß du die Premierministerin kennenlernst, Darling.«

    Sie aßen in Brown’s Hotel zu Abend. Bei Salat und Seezunge Véronique berichtete ihr Stephen von seinem Tagesablauf.
    »Vielleicht der frustrierendste seit mindestens einer Woche.
    Zum Kuckuck, Judith, die Premierministerin muß die Denkpau-se schleunigst beenden. Die Stimmung im Land verlangt Neuwahlen. Wir brauchen ein Mandat, und das weiß sie auch. Labour weiß es, und wir sind an einem toten Punkt angelangt. Und trotzdem verstehe ich’s. Falls sie nicht für die Wiederwahl kan-didiert, dann ist der Fall damit natürlich erledigt. Wenn meine Zeit gekommen ist, wird es mir sehr schwerfallen, mich aus dem öffentlichen Leben zurückzuziehen.«
    Judith stocherte in ihrem Salat herum. »Das öffentliche Leben ist dein ein und alles, stimmt’s, Stephen?«
    »In all den Jahren von Janes Krankheit war es meine Rettung.
    Es nahm mich zeitlich, geistig und kräftemäßig voll in Anspruch. Ich kann dir gar nicht schildern, mit wie vielen Frauen ich in den drei Jahren seit ihrem Tod bekanntgemacht wurde.
    Mit einigen bin ich ausgegangen und merkte dann, daß ihre Namen und Gesichter alle ineinander verschmolzen. Soll ich dir einen interessanten Test für Frauen verraten? Wenn sie eine gemeinsame Unternehmung geplant hat und er aus zwingenden Gründen zu spät kommt, zeigt sie da ihren Ärger? An einem kalten Novemberabend bin ich dann dir bei Fiona begegnet, und das Leben hat sich verändert. Wenn sich jetzt die Schwierigkei-ten auftürmen, flüstert eine leise Stimme: ›In ein paar Stunden triffst du Judith‹.«

    Er langte über den Tisch und berührte ihre Hand. »Nun laß mich meine Frage stellen. Du hast dir eine überaus erfolgreiche Karriere geschaffen. Wie du mir erzählt hast, arbeitest du manchmal die Nacht durch oder verkriechst dich tagelang, um einen Termin einzuhalten. Ich würde deine Arbeit ebenso re-spektieren wie du die meine, aber es könnte sehr oft vorkommen, daß ich dich brauche, um mit mir zusammen irgendwelche Veranstaltungen zu besuchen oder um mich auf Auslandsreisen zu begleiten. Wäre das eine Belastung, Judith?«
    Judith starrte in ihr Glas. In den zehn Jahren seit Kenneth’
    Tod war es ihr gelungen, sich ein neues Leben aufzubauen. Sie hatte als Journalistin bei der Washington Post gearbeitet, als Kenneth, Korrespondent für Potomac Cable Network im Wei-
    ßen Haus, bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam. Die Ver-sicherungssumme reichte, um ihre Stellung aufzugeben und sich an die Verwirklichung des Plans zu machen, der sie verfolgte, seitdem sie das erste Buch von Barbara Tuchman gelesen hatte.
    Sie war fest entschlossen, seriöse historische Bücher zu schreiben.
    Die unzähligen Stunden für mühselige Recherchen, die langen Nächte an der Schreibmaschine, das Umschreiben und Redigieren – all das hatte sich gelohnt. Ihr erstes Buch über die Amerikanische Revolution The World Is Upside Down, erhielt den Pulitzer-Preis und wurde ein Bestseller. Ihr zweites, vor zwei Jahren erschienenes Buch über die Französische Revolution, Darkness at Versailles , war ebenso erfolgreich und wurde mit dem American Book Award ausgezeichnet. Die Kritiker nannten sie »eine fasziniernede Geschichtenerzählerin, die kenntnisreich wie ein Universitätslehrer in Oxford schreibt«.
    Judith fixierte Stephen. Das gedämpfte Licht der Wandleuch-ter und der Kerze, die unter einem Glassturz auf dem Tisch flak-kerte, ließ die scharfen Konturen seiner aristokratischen Gesichtszüge
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