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Das Amerikanische Hospital

Titel: Das Amerikanische Hospital
Autoren: Michael Kleeberg
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eingeschweißter Plastikkolben zur Verfügung, der von null bis zehn Milliliter skaliert war und sich nach oben hin trichterförmig weitete. Er konnte hinterher mit einem ebenfalls transparenten Deckel verschlossen werden, aber dass man den Deckel auch rechtzeitig vorher abnehmen musste, stand nirgends, und ich achtete peinlich genau darauf ab dem zweiten Mal (noch vor dem Dakin), da ich beim ersten Mal übersehen hatte, dass er sich noch auf dem Kolben befand, als ich kam. Hinterher drückte man ein kleines selbstklebendes Etikett, auf das man seinen Namen geschrieben hatte, auf den Kolben.
    Ich erinnere mich noch genau an die Titelzeile des mittleren ausklappbaren Pin-ups in der Ausgabe des Hustler, dessen speckige Seiten ich beim ersten Mal mit spitzen Fingern öffnete: »Boning a porn slut.« Ich erinnere mich daran, weil der Ton dieser Zeile und die dazugehörigen Bilder und die Pornomagazine überhaupt so gut die Diskrepanz symbolisierten, die es hier zu überwinden galt: einerseits nämlich per Fernbefruchtung die eigene Ehefrau zu schwängern, dies aber andererseits mit dem Gedanken zu tun, die himbeerrosigen, haarlosen, mit Hilfe ihrer eigenen Finger geweiteten Öffnungen einer Blondine mit aufgespritzten Lippen und weißlackierten, eckig geschnittenen Nägeln zu penetrieren, oder wenn nicht mit dem Gedanken, dann doch ihren Körper vor Augen.
    Es fand jedenfalls in dieser Kammer eine systematische Abkoppelung der Lust von dem einzigen Objekt statt, dem sie gelten konnte und durfte. Die weiteren
Male, die ich mich in ihr einzuschließen hatte, blätterte ich zwar nicht mehr die Sexzeitschriften durch, sondern rief Bilder vor mein inneres Auge, aber die Situation machte, dass es weniger und weniger oft und bald gar nicht mehr Bilder meiner Frau waren, mit denen ich mich zu erregen versuchte, sondern zunächst ein Reigen früherer Geliebter oder Frauen, die ich nicht bekommen hatte, und später immer unrealistischere oder abseitigere Konstellationen, in denen zumindest Gesichter und reale Menschen bald keine Rolle mehr spielten.
    Ich habe mich im Nachhinein gefragt, ob es nicht vernünftig und heilsam gewesen wäre, die Punktion und die Spermienabgabe zeitlich zu entzerren, um die Paare auf fünf Minuten gemeinsam in die Kammer zu lassen - aber das wäre vielleicht auch in Frankreich als skandalös empfunden worden. Ich fragte mich auch, warum ich eigentlich kein Foto Hélènes - durchaus ein aufreizendes - mit in die Kammer genommen habe. Wir haben nie, auch nicht scherzhaft, diese paar Minuten thematisiert. Tatsache ist, dass es mir wahrscheinlich pietätlos vorgekommen wäre, dort mit einem Bild von ihr zu masturbieren, ein wenig so, als nähme man die Fotografie seiner Frau ins Bordell mit.
    Man wird in einer solchen Situation wie der jahrelangen IVF abergläubisch, sucht nach Zeichen, die günstiges Gelingen versprechen, gelobt - wem gegenüber? - Besserung bei Erfüllung des Wunsches, schließt Pakte mit sich selbst, wartet auf und betet um Wunder - je länger, desto intensiver.
    Aber auch ein negativer Aberglaube nistete sich irgendwann in meinen Gedanken ein: nämlich der, dass - allen
scherzhaften Bemerkungen über mein »Rennsperma« zum Trotz - ein Ejakulat, das nicht das Bild Hélènes aus mir getrieben hatte, auch nicht dazu taugen konnte, sie zu befruchten, und wenn, dann - aber weiter wollte ich nicht denken.
    Auch zu Hause im täglichen Leben fand eine schleichende Wandlung statt, die nicht nur der üblichen Beruhigung oder Abkühlung des erotischen Lebens bei Paaren, die schon lange zusammen sind, geschuldet war. In kurzen Worten könnte man vielleicht sagen, dass die Körper, die immer die erste Brücke sind, über die zwei Menschen zusammenfinden (und oft auch die letzte, auf der sie einander noch begegnen), uns nicht mehr zueinander führten, sondern die Grenze zwischen uns markierten, die wir nicht mehr überschritten. Während ansonsten, scheint mir, Zuneigung, Freundschaft, Vertrauen wuchsen, wurde Hélènes Körper, das heißt aber auch ihre ganze Körperlichkeit, zunehmend zu einem Problem für mich, war nichts Selbstverständliches mehr, sondern ein Thema, und zwar ein heikles Thema.
    Anfangs bildete ich mir ein, die täglichen Spritzen, die ich in ihr Gesäß trieb, seien im weitesten Sinne erotisch zu verstehen, vielleicht auch weil ich ihren Hintern, in dessen Muskel ich die Nadel zu versenken hatte, vorher und nachher streichelte, küsste und lobte, später versuchte ich zu
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