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Das alte Siegel

Das alte Siegel

Titel: Das alte Siegel
Autoren: Adalbert Stifter
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erweise, warum sollte ich es nicht thun? Ich verspreche euch also, daß ich schon wieder einmal um diese Zeit hieher kommen werde.«
    »Ich danke euch recht schön, Herr, ich danke euch. Ich habe mich gar nicht geirrt, ich habe gewußt, daß ihr sehr gut seid. Ich will eure Zeit nicht mehr rauben, und will mich jetzt entfernen. Lebt recht wohl, Herr, lebt wohl.«
    »Lebt wohl,« sagte Hugo.
    Der Alte verbeugte sich, wendete sich um, und ging durch das sehr nahe gelegene große Thor der Kirche hinaus. Hugo sah ihm nach und blieb dann noch eine Weile in dem Raume zurück. Die Sonnenstrahlen, die früher durch die Fenster der Kirche herein gekommen waren, waren verschwunden, nur an den Fensterstäben draußen spann es sich, wie weißglitzerndes Silber senkrecht nieder, wodurch die schwarzen Bilder und die trübe Vergoldung der Kirche noch ernster und düsterer wurden. Einzelne Menschen saßen oder knieten, wie gewöhnlich als Beter herum. Hugo wendete sich nun auch, und schritt zum Thor hinaus. Draußen ward er von der warmen Mittagsluft des Frühlings, der eben auf allen Ländern jenes Erdtheils lag, von blendender Helle und von dem Lärmen des Tages empfangen.
    Seit diesem Kirchenbesuche war eine geraume Zeit vergangen, als Hugo wieder einmal zufällig in die Nähe des Gotteshauses von Sanct Peter gerieth. Es war gegen zehn Uhr, welches gerade die Zeit war, die, wie wir oben sagten, Hugo gewöhnlich zu seinem Vormittagsspaziergange verwendete. Es fiel ihm ein, daß er jetzt sein Versprechen lösen könnte. Er dachte, der Mann, der ihn so sonderbar bestellt habe, sei wahrscheinlich irrsinnig, aber, dachte er hinzu, das könne doch keinen Grund abgeben, daß man ihm sein Wort nicht halten dürfe. Wenn die Freude, Hugo in der Kirche zu sehen, eine eingebildete ist, so sind es zuletzt alle unsere Freuden auch - und wer weiß, welch' glühende, welch' schmerzliche oder süße Bilder seiner Vergangenheit gerade die blonden Haare aus seinem Innern hervor heben mögen, weil er sie so eigenthümlich in seinem Briefe bezeichnet hat.
    Unter diesen Gedanken trat Hugo in die Kirche hinein. Der ruhige Orgelton und der fromme Kirchengesang wallten ihm auch heute wieder gedämpft entgegen. Da er drinnen war, war es eben auch gerade so, wie das erste Mal. Der Priester las am Hochaltare die Messe, die andächtige Menge aus allen Ständen und Altern saß zerstreut in den Stühlen herum, und sang dieselbe schöne Kirchenweise. Der Diener kam mit dem Klingelbeutel, das Dreimal heilig tönte endlich, der Weihrauch stieg, der Gottesdienst wurde aus, und wieder, wie damals, zerstreute sich die Menge. Aber der alte Mann, den Hugo damals gesehen, und mit dem er gesprochen hatte, war heute nicht zugegen gewesen. Hugo wartete, bis die Kirchenuhr von draußen herein eilf Uhr schlug, und als er eine geraume Weile darnach den alten Mann auch noch nirgends sah, ging er wieder aus der Kirche fort, und hatte das Gefühl mit sich genommen, als hätte er eine gute That gethan. Und es war auch eine, wenn sie gleich die beabsichtigte Frucht nicht getragen hatte.
    Hugo war später noch einige Male um zehn Uhr in der Kirche von Sanct Peter gewesen. Zum zweiten Male hatte er den Greis wieder gesehen. Er war auf ihn zugegangen, und hatte mit sehr viel Freude in seinen Zügen gesagt: »Ich danke euch, ich danke euch recht schön.«
    Nach diesen Worten war er wieder hinweg gegangen, und hatte wahrscheinlich die Kirche verlassen.
    War Hugo das erste Mal nicht gerade aus Beruf in die Kirche gegangen, um einem Gottesdienste beizuwohnen, so wirkte doch nachher die Ruhe der kirchlichen Feier auf sein Herz, und die Freundlichkeit dieses Tempels gefiel ihm so, daß er später noch mehrere Male freiwillig hin ging, und andächtig da stand, ja andächtiger, als viele andere, die zur Feier des Gottesdienstes gekommen waren. Den Greis aber hatte er nicht mehr gesehen.
    Da er nach langer Zeit wieder ein paar Male hinter einander in der Kirche gewesen war, und den alten Mann nicht gesehen hatte, würde sich wahrscheinlich die Gewohnheit, gerade zu dieser Zeit in diese Kirche zu gehen, wieder verloren haben, wenn sich nicht etwas zugetragen hätte, das der Sache eine andere Gestalt gab.
    Es geschah eines Tages, daß man an dem Kirchenpflaster des Hauptschiffes etwas ausbesserte, und deßhalb einen Querbalken über den Hauptgang zwischen den Stühlen gezogen hatte. Hiedurch wurde eine alte schwarz gekleidete Frau, die Hugo schon öfter bemerkt hatte, daß sie immer vorne am
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