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Das alte Siegel

Das alte Siegel

Titel: Das alte Siegel
Autoren: Adalbert Stifter
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denken. Hugo hatte darunter eine reine Stirne, von zwei geistvollen klaren Augenbogen geschnitten, feines starkes Wangenroth, und die Lippen frisch und kräftig, die noch von keinem Menschen dieser Erde, nicht einmal von einem Kinde geküßt worden sind. Die Augen hatte er von der Mutter, groß und blau. Sie waren so gut, daß, hätten sie sich nicht eben jetzt ins Männliche hinüber verändert, man gesagt haben würde, er hätte sie von einer edlen schönen Frau empfangen. Ueberhaupt sah er viel jünger aus, als seine Jahre waren, und er hatte von manchem aus dem Kriegerstande, die er bei seinen Uebungen kennen gelernt hatte, und die ihn gelegentlich besuchten, einigen Hohn und Scherz zu erfahren, da sie ihn spottweise nur immer den heiligen Aloisius nannten.
    Eben, da er so stand, ließen sich klirrende Tritte durch sein Vorstübchen gegen sein Gemach vernehmen. Er riß den Brief, der auf dem Tische lag, an sich, verbarg ihn in der Tasche, und ward so roth, als hätte er eine Schandthat begangen. Es geschahen ein paar nachlässige Schläge an seine Thür, und ohne Umstände trat der Besuch herein. Es war eben so ein junger Mann kriegerischen Ansehens, wie wir oben von ihnen geredet haben. An den Stiefeln tönten die Sporen. Unter einem rauhen »guten Tag, Freund,« legte er den Hut hin, warf sich in den Armsessel, und begann ein Gespräch, das er über den Dienst, über lange Weile, über Theater, Mädchen und Pferde führte. Hugo hörte ihn an, und erwiederte manchmal etwas auf höfliche Weise. Als er endlich fragte, ob sich denn gar nichts neues zugetragen habe, das nur einige Abwechslung in die Zeit bringe, sagte ihm Hugo von dem Briefe nichts, sondern erwiederte, daß sich wahrscheinlich nichts zugetragen habe, was man seiner besondern Aufmerksamkeit werth halten und ihm anvertrauen möchte.
    Da Hugo's Bekannte schon wußten, daß er sich in seiner gewohnten Eintheilung der Zeit nicht irre machen ließe, so trat er auch jetzt an den Tisch, und fing auf seinen großen schwarzen Schiefertafeln aus einem Buche zu rechnen an. Der Mann, der zu Besuche da war, nahm seine Pfeife heraus, rauchte, blätterte in einem Buche, und begleitete endlich Hugo aus dem Hause, da dieser den Griffel weglegte und erklärte, daß er jetzt zu seinem Mittagsessen gehen werde. An der Schwelle des Gasthauses, in dem Hugo gewöhnlich aß, trennten sie sich.
    Am andern Tage, genau als die Uhr von Sanct Peter zehn schlug, trat Hugo durch das große Thor in die Kirche. Er hatte wohl flüchtig daran gedacht, daß die Bestellung etwa ein Scherz eines seiner Kameraden sein könnte; aber zum Theile stand er mit keinem so, daß dieser Scherz leicht denkbar gewesen wäre, zum andern Theile hatte er sich nichts vergeben, wenn er kam, selbst wenn ein Scherz statt gefunden haben sollte.
    Es wurde am Hauptaltare in der Kirche eben eine Messe gelesen, die zu dieser Stunde angesetzt ist. An einem der Seitenaltäre trat gleichfalls ein Priester über. In Stühlen saßen allerlei Menschen herum, andere standen heraußen auf dem Pflaster, wieder andere knieten theils in den Stühlen, theils in den breiten Gängen der Kirche. Hoch oben durch die Fenster wallte ein Sonnenstrom herein, und setzte den ruhig erhabenen Raum in warmes Feuer. Hugo war vor sich selber in einiger Verlegenheit, da ihm sein Gefühl sagte, daß er heute nicht aus Andacht in die Kirche gekommen sei; aber da er entschlossen war, den Vorfall nur zum Guten zu benützen, so beruhigte er sich bald wieder. Er stellte sich in die äußerste Ecke zurück, und es war fast noch die Hälfte seines Körpers durch die Schnörkel eines hölzernen Beichtstuhles verborgen, wie sie gerne in der Tiefe katholischer Kirchen zu stehen pflegen. So stand er einige Minuten, und es war ihm als müßten sogleich alle Augen auf ihn schauen; aber nicht ein einziges that es, und kein Mensch nahm von seiner Anwesenheit besondere Kenntniß. Die Orgel ging ihren regelmäßigen Gang, und die Melodie des Kirchengesanges wallte sanft durch die Bogen. Es trat ein Kirchendiener zu ihm heran und hielt ihm den Klingelbeutel vor, er warf eine kleine Münze hinein, der Diener dankte, ging zu dem Nachbar, dann zu dem Nachbar des Nachbars, und so weiter - und alles war wieder, wie vorher. Hugo blickte nun auf mehrere Personen - aber alle waren in sich selber vertieft. In der Kirche ließ sich nicht das mindeste Zeichen verspüren, daß heute etwas anderes geschehen solle, als sonst. Wie es in großen Städten zu geschehen
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