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Das alte Königreich 02 - Lirael

Titel: Das alte Königreich 02 - Lirael
Autoren: Garth Nix
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niemand arbeiten«, erklärte Sam. »Die Sendlinge sind ganz versessen darauf, sich nützlich zu machen. Ich glaube, sie langweilen sich, wenn keine Menschen im Haus sind. Jeder Abhorsen erschafft ein paar Sendlinge, deshalb werden es immer mehr. Einige sind viele hundert Jahre alt.«
    »Manche sind tausend Jahre alt und älter«, berichtigte Mogget. »Und die meisten davon sind senil.«
    »Wo gehen wir von Bord?«, erkundigte sich Lirael, ohne auf Mogget zu achten. Sie konnte nirgends ein Tor oder einen Landesteg entdecken.
    »An der Westseite.« Sam musste die Stimme heben, um über das zunehmende Rauschen des Katarakts gehört zu werden. »Wir fahren um die Insel herum bis fast zum Wasserfall. Dort ist ein Landesteg, und es gibt Trittsteine hinüber zum Westtunnel. Seht, da vorn – man kann erkennen, wo sich der Tunneleingang oben am Ufer befindet.«
    Er deutete auf einen schmalen Sims in halber Höhe des Westufers, ein grauer Felsvorsprung, fast so hoch wie das. Haus. Falls dort der Tunneleingang war, konnte Lirael ihn durch die Gischtwolken nicht sehen. Auf jeden Fall schien er ihr gefährlich nahe am Wasserfall zu sein.
    »Da gibt es
Trittsteine?«,
fragte sie verwundert und deutete auf den Felsenschacht, durch den das Wasser in einem Sturzbach toste, der mindestens zweihundert Meter breit und sehr tief war. Der eigentliche Wasserfall war über tausend Fuß hoch, wie Sam ihr erzählt hatte. Sollten sie aus der Fahrrinne des Kanals geraten, würde
Finderin
binnen Sekunden mitgerissen und in die Tiefe stürzen.
    »Ja, auf beiden Seiten«, rief Sam. »Sie reichen bis zu den Ufern. Dort sind Tunnels, die zum Fuß der Klippen führen. Man kann auch über die Ufer gehen und auf dem Plateau bleiben, wenn man will.«
    Lirael nickte und schluckte. Sie blickte zu dem Punkt, wo die Trittsteine vom Haus zum Westufer führen mussten. Wegen der Gischtwolken konnte sie nicht alle sehen. Sie hoffte flehentlich, die Trittsteine nicht benutzen zu müssen.
    Dann erinnerte sie sich an die Charterhaut, die zusammengerollt und fertig zum Hineinschlüpfen in der Tasche neben dem
Buch des Erinnerns und Vergessens
lag. Falls nötig, konnte sie in Gestalt der Eule gefahrlos über die tosenden Fluten fliegen.
    Ein paar Minuten später näherte
Finderin
sich der weiß getünchten Mauer. Lirael überlegte kurz und zog dann eine gedachte Linie vom Schiffsmast zur Mauerkrone. Jetzt, aus der Nähe, sah die Mauer noch höher aus; außerdem wies sie Flecken auf, die offensichtlich nicht einmal durch frische Farbe zum Verschwinden gebracht werden konnten und anscheinend von Hochwasser stammten.
    Und dann waren sie am hölzernen Anlegesteg.
Finderin
prallte sanft gegen den schweren Segeltuchfender, der dort hing. Sam und Lirael luden rasch alles aus und mussten gestikulieren, um sich verständlich zu machen. Der Wasserfall donnerte mit derartigem Getöse in die Tiefe, dass selbst laute Schreie nicht zu hören waren.
    Als alles auf dem Landesteg verstaut war, Mogget auf Liraels Tasche hockte und die Hündin das Maul aufgerissen hatte, um vergnügt nach Gischt zu schnappen, küsste Lirael die Galionsfigur von
Finderin
auf die Wange und schob das Schiff an, wobei sie für einen Moment den Eindruck hatte, das geschnitzte Gesicht habe ihr verschmitzt zugelächelt.
    »Danke«, flüsterte sie, während Sam dem Schiff mit einer Verbeugung seinen Respekt erwies.
Finderin
wendete majestätisch und begann ihren Weg flussauf. Sam bemerkte erst jetzt, dass die Strömung im Kanal gedreht hatte und nun – im Gegensatz zum Ratterlin – nach Norden floss. Verwundert fragte er sich, wie das sein konnte.
    Eine Berührung am Arm riss Sam aus seinen Gedanken. Er griff nach seinen Satteltaschen und dem traurigen Rest seines Schwertes, ging voraus zum Tor und schob es auf. Kaum waren sie hindurch, verstummte der Lärm des Wasserfalls, nicht einmal ein fernes Tosen war mehr zu vernehmen. Dafür hörte Lirael jetzt Vögel in den Bäumen und das Summen von Bienen. Der Dunst um das Abhorsen-Haus verflüchtigte sich, und Lirael stand plötzlich im hellen, warmen Sonnenschein, der ihr Gesicht und ihre Kleidung rasch trocknete.
    Die Gefährten schritten über einen roten Ziegelpfad, zwischen einer Rasenfläche und einer Reihe von Sträuchern mit gelben Blüten hindurch. Der Pfad führte zur Vorderseite des Hauses, das himmelblau getüncht war und sich freundlich von den weißen Steinen zu beiden Seiten abhob. Das Haus sah ziemlich normal aus und hatte – vom Turm
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