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Das Alabastergrab

Titel: Das Alabastergrab
Autoren: Helmut Vorndran
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Bundesland, oder man verdingte sich mit ehrlicher Arbeit. Fritz
Helmreich entschied sich für Letzteres. Ein Bootsverleih war schließlich weitab
von jeglicher Wahrscheinlichkeit, je von der Politik belästigt zu werden. Tja,
da hatte er wohl danebengelegen. Jetzt jedenfalls steckte er mittendrin im
Politsumpf – und auch noch an vorderster Front. Nicht dass er sich darum
gerissen hätte. Aber es lag ihm einfach, zu reden und zu argumentieren. Er
konnte ja auch nichts für seine Gene und kam vor allem nicht gegen sie an. Also
war er nun mal hier mit dieser Aufgabe gelandet. Auch gut.
    Er hob seinen Krug, um auf dessen fatale Leere aufmerksam zu machen,
als von draußen hektische Rufe zu ihm hereindrangen. Wahrscheinlich war bei
denen das Bier auch alle. Er schwenkte weiter sein Seidla mit dringendem Wunsch
nach erneuter Befüllung, doch die Stimmen von draußen wurden immer lauter.
    Plötzlich stürzte der Vertreter des Deutschen Kanuverbands aus
München in den Gastraum und rief mit panisch weit aufgerissenen Augen: »Fritz,
Fritz, komm sofort! Da ist was mit dem Main. Ich glaube, wir kriegen
Hochwasser. Und zwar schnell!«
    Helmreich glaubte, sich verhört zu haben. Hochwasser? Völlig
unmöglich. Die Pegelstände wurden von ihm jeden Tag abgefragt, und eigentlich
war das Wasser schon seit drei Tagen so niedrig, dass gar nicht mehr Kanu
gefahren werden durfte. Hochwasser war so was von unrealistisch, vor allem bei
der andauernden Trockenheit. Verwirrt ging er mit nach draußen.
    »Da, schau dir die Schweinerei an!«, rief ihm der Vorsitzende vom
Faltboot-Club Bamberg zu. »Die schrecken vor nichts zurück! Egal wie se des
gemacht ham, aber sie hams gemacht. Jetzt musste was unternehma, Fritz! Es
langt!«
    Ungläubig betrachtete Helmreich die Szenerie. Er traute seinen Augen
nicht.
    Das Ufer war verschwunden. Und mit ihm Zelte, Boote und Bootsfahrer.
Wer konnte, hatte sein Boot noch schnell den Hang hinauf Richtung Ortsmitte
gezerrt. Die meisten allerdings hatten nur noch sich selbst retten können und
standen nun wie alle anderen wortlos aneinandergedrängt am neuen Ufer, der
Dorfstraße. Der Main hatte die Einstiegsstelle gefressen, die Zelte waren weg,
die meisten Boote verschwunden und die bierselige Piratenstimmung auch.
Fassungslosigkeit machte sich breit. Wie konnte das passieren? Hochwasser ohne
Regen? Wie auch immer, der Main hatte die größte Paddlerdemo, die Franken je zu
sehen bekommen hätte, ohne Wenn und Aber aufgelöst.
    *
    Der Mann hielt eine doppelläufige Schrotflinte in der Hand und war
offensichtlich zu allem entschlossen. Sein Gesicht leuchtete vor Erregung puterrot.
    »So, jetzert hab ich dich«, zischte er durch seine gelben Zähne.
    Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Ihr letztes Stündlein hatte
geschlagen. Der Mann schien es offensichtlich bitterernst zu meinen.
    »Des wars, Mylady. Jetzert ist endlich dei Linie ausgelöscht. Unner
Schuld is gedilchd. Gleich wirscht du in der Hölln schmoren, du Schlambe.« Der
große Unbekannte mit der verschlissenen Cordhose und den braunen Gummistiefeln
legte das Gewehr an die Backe. Da ertönte eine ferne Melodie. Beethovens Neunte.
Sie wiederholte sich in einer unendlichen Schleife.
    »Was solln der Scheiß?«, maulte der Mann und hielt noch schnell zwei
Finger an die Nase, um kurz und gründlich auf die Seite zu rotzen. Der
eitergelbe Treffer floss träge tropfend die strahlend weiße Fliese hinunter.
    Sie sah sich verzweifelt um, aber weit und breit war niemand zu
sehen, der ihr hätte helfen können. Nur geflieste Wände überall. Und der Mann
stand genau zwischen ihr und der einzigen Tür, die nach draußen führte. Es war
kalt, sie zitterte, und sie saß in der Falle.
    »Da spielt dir noch aaner a Abschiedslied, Maadla«, kicherte der
Typ. Dann irrlichterte sein unsteter Blick zurück zu seinem auserkorenen Ziel.
»Na, vo mir aus. Aber mir langts etzerd. Adela!«
    Er drehte sich um. Der Gewehrlauf schwebte nur etwa zehn Zentimeter
vor ihr in der Luft. Noch nie in ihrem erst kurzen Leben hatte sie so panische
Angst gehabt. Beethoven tönte immer lauter durch den gefliesten Kerker, aber
der Mann schien wild entschlossen zu sein. Er zielte kurz und drückte ohne
weitere Verzögerung ab. Es gab einen dumpfen Knall, Pulverdampf quoll in
Zeitlupe aus dem Lauf – und Riemenschneider wachte quiekend auf.
    Sie war nicht tot. Ein Glück, alles war nur ein schweinischer
Alptraum gewesen. Riemenschneider grunzte erleichtert und legte den
verschwitzten rosa
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