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Das 1. Buch Des Blutes - 1

Das 1. Buch Des Blutes - 1

Titel: Das 1. Buch Des Blutes - 1
Autoren: Clive Barker
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schon im Schlaf begonnen hatte.
    Seine Augen schnellten dann auf. Sein Körper war naß vor Schweiß.
    Sein Bewußtsein wurde erfüllt vom heisersten Getöse, mit dem er ohne die geringste Hoffnung auf Gnadenfrist zusammengesperrt war.
    Nichts konnte seinen Kopf zum Schweigen bringen, und nichts, so schien es, konnte ihm die Welt, die sprechende, lachende, weinende Welt wiederbringen.
    Er war allein.
    Das war es dann: das Grauen, von A bis Z, in Reinkultur. Er war mutterseelenallein mit seiner Kakophonie. Eingesperrt in dieses Haus, in dieses Zimmer, in diesen Körper, in diesen Kopf, ein Gefangener tauben, blinden Fleisches.
    Es war fast unerträglich. In der Nacht schrie der Junge manchmal auf, ohne zu wissen, daß er überhaupt ein Geräusch machte, und die Fische, die seine Eltern waren, drehten dann das Licht an und kamen, versuchten, ihm irgendwie zu helfen, beugten sich über sein Bett und schnitten Gesichter; bei ihren Anstrengungen zu helfen, bildeten sie mit den tonlosen Mündern widerlich molluskenhafte Fratzen. Ihre Berührungen beruhigten ihn dann schließlich; mit der Zeit lernte seine Mutter, wie sie die Panik fortlindern konnte, die über ihn hinfegte.
    Eine Woche vor seinem siebten Geburtstag kehrte sein Gehör zurück, nicht vollständig, aber immerhin so gut, daß es auf ihn wie ein Wunder wirkte. Schlagartig rückte die Welt wieder ins rechte Licht der Wahrnehmung, und das Leben begann von neuem.
    Es kostete den Jungen mehrere Monate, bis er seinen Sinnen wieder traute. Noch immer erwachte er häufig in der Nacht und spürte schon fast die Kopfgeräusche herannahen.
    Wenn Steve auch normalerweise die Ohren schon bei der abgeschwächtesten Klangfülle dröhnten, was ihn davon abhielt, mit seinen Kommilitonen zu Rockkonzerten zu gehen, bemerkte er jetzt seine leichte Taubheit so gut wie gar nicht.
    Aber er erinnerte sich natürlich. Sehr gut. Er konnte sich den Geschmack seines Entsetzens vergegenwärtigen; das Gefühl des Eisenbandes um seinen Kopf. Und ein Restbestand war noch vorhanden von der Angst, dem Dunkel, dem Alleinsein.
    Nun hatte Steve noch eine andere Angst, die weitaus schwieriger auszuloten, festzunageln war.
    Quaid. Bei einem besäufnishaften, enthüllungsreichen Zusammensein hatte er Quaid von seiner Kindheit erzählt, von der Taubheit, von den nächtlichen Schrecken.
    Quaid wußte um seine Schwäche: Er kannte den geraden Weg ins Innerste von Steves panischem Grausen. Er hatte, sollte es je so weit kommen, eine Waffe, einen Knüppel, um ihn damit zu schlagen.
    Möglicherweise zog Steve es eben deswegen vor, nicht mit Cheryl zu reden (sie warnen, das wollte er doch wohl, oder?), und mit Sicherheit ging er deswegen Quaid aus dem Weg.
    Der Mann hatte, wenn er auf die eine oder andere Art verstimmt war, einen Ausdruck der Bösartigkeit. Nicht mehr und nicht weniger. Er sah aus wie ein Mann, den tief, tief drinnen Bösartigkeit besetzt hielt.
    Möglicherweise hatten Steve jene vier Monate der Menschenbeobach-tung bei reduziertem Geräuschpegel für die Wahrnehmung der winzigen Blicke, der Hohngrimassen, des Lächelns, das über die Menschen-gesichter huscht, empfänglicher gemacht. Er wußte, Quaids Leben war ein Labyrinth; die Karte seiner verschlungenen Vielschichtigkeit war mit tausend winzigen Ausdrucksnuancen seinem Gesicht eingeritzt.
    Der nächste Schritt von Steves Initiation in Quaids geheime Welt setzte erst nach dreieinhalb Monaten ein. Die Uni unterbrach ihren Betrieb für die Sommerpause, und die Studenten gingen ihrer Wege.
    Steve trat seinen üblichen Ferienjob in der Druckerei seines Vaters an; das nahm ihn voll in Anspruch und schlauchte ganz schön, stellte aber eine unleugbare Erleichterung für ihn dar. Die Studiererei hatte ihm das Hirn bis zum Platzen vollgestopft; zwangsernährt, gemästet mit Worten und Ideen, so kam er sich vor. Die schweißtreibende Druckereiarbeit schwemmte das alles rasch aus ihm heraus, schaffte Über-blick, beseitigte den Ramsch in seinem Denken.
    Es war eine angenehme Zeit: Er dachte beinah gar nicht an Quaid.
    Ende September ging er an die Uni zurück. Auf dem Campus waren noch relativ wenig Studenten. Die meisten Studiengänge fingen erst in der darauffolgenden Woche an; und ohne sein übliches Gewühl mosernder, flirtender, debattierender junger Leute strahlte der Ort etwas Melancholisches aus.
    Steve war in der Bibliothek und sicherte sich ein paar wichtige Bücher, ehe andere aus seinem Studiengang sie sich schnappen konnten. Zu
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