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Das 1. Buch Des Blutes - 1

Das 1. Buch Des Blutes - 1

Titel: Das 1. Buch Des Blutes - 1
Autoren: Clive Barker
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ist.
    Beiläufig stellte Steve in den nächsten beiden Wochen ein paar Ermittlungen über den sonderbaren Mr. Quaid an.
    Keiner kannte seinen Vornamen.
    Keiner wußte sein Alter anzugeben; aber eine der Sekretärinnen war der Meinung, er sei über dreißig, was wirklich überraschte.
    Seine Eltern, hatte Cheryl ihn sagen hören, waren gestorben. Umge-kommen, ihrer Meinung nach.
    Anscheinend war das die Summe menschlichen Wissens in Sachen Quaid.
    »Hast noch’n Drink bei mir gut«, sagte Steve und stupste Quaid in den Arm.
    Der fuhr zusammen, als hätte ihn etwas gebissen.
    »Brandy?«
    »Gern, danke.«
    Steve bestellte die Drinks.
    »Hab’ ich dich erschreckt?«
    »Hab’ über was nachgedacht.«
    »Sollte auch jeder Philosoph auf Trab halten.«
    »Was?«
    »Seinen Grips.«
    Sie kamen ins Reden. Steve wußte nicht zu sagen, warum er nochmals mit Quaid in Kontakt getreten war. Der Mann war zehn Jahre älter als er und von ganz anderem intellektuellem Kaliber. Also, wenn Steve ehrlich sein sollte: Wahrscheinlich schüchterte Quaid ihn ein. Sein schonungsloses Reden über Bestien verwirrte ihn. Und doch wollte er noch mehr davon: mehr Metaphern, mehr von dieser humorlosen Stimme, die ihm sagte, wie unbrauchbar die Tutoren seien und wie schwach die Studenten.
    In Quaids Welt war auf nichts Verlaß. Er hatte keine säkularen Gurus und mit Sicherheit keine Religion. Er schien außerstande zu sein, irgendein System, sei es politisch oder philosophisch, ohne Zynismus zu betrachten.
    Obwohl Quaid selten lauthals lachte, wußte Steve, daß in seiner Weltsicht schwarzer Humor steckte. Lämmer und Schafe waren die Menschen, und alle auf der Suche nach Schafhirten. Natürlich waren diese Schafhirten Quaid zufolge bloße Wunschgebilde. Was wirklich existierte, in der Finsternis außerhalb der Hürde, waren einzig und allein die Ängste, die sich auf das unschuldige Schaffleisch fixierten, um in steinerner Geduld ihren Augenblick abzuwarten.
    Alles war in Zweifel zu ziehen, ausgenommen eine Tatsache: daß das nackte Grauen, der Moloch Angst existierte.
    Quaids intellektuelle Arroganz war an- und aufregend. Bald lernte Steve die bilderstürmerische Nonchalance lieben, mit der er einen Glaubensinhalt nach dem anderen niedermachte. Manchmal tat’s schon weh, wenn Quaid ein hieb- und stichfestes Argument gegen eins aus Steves Doktrin formulierte. Aber nach ein paar Wochen wirkte selbst das blanke Wortgeräusch des Niedermachens erregend.
    Quaid rodete das Unterholz, fällte die Bäume, tilgte restlos die Stoppeln aus. Steve fühlte sich befreit.
    Nation, Familie, Kirche, Recht. Alles Schrott. Alles unbrauchbar.
    Alles Lug und Trug, Ketten und Knebelung.
    Nur das phobische Grauen gab es.
    »Ich fürchte, du fürchtest, wir fürchten«, sagte Quaid gern. »Er, sie oder es fürchtet. Kein bewußtseinsbegabtes Wesen auf dem Angesicht der Erde, dem das Grauen nicht inniger vertraut wäre als sein eigener Herzschlag.«
    Eins von Quaids bevorzugten Drangsalieropfern war Cheryl Fromm, die gleichfalls Philosophie und Anglistik studierte. Auf seine recht verabscheuungswürdigen Bemerkungen stürzte sie meistens los wie der Stier aufs rote Tuch, und während die beiden gegenseitig ihre Argumente verhackstückten, lehnte sich Steve gewöhnlich zurück, um dem Schauspiel zuzusehen. Cheryl war, nach Quaids Worten, eine pathologische Optimistin.
    »Und du hast Scheiße im Hirn«, sagte sie, wenn der Disput etwas in Fahrt gekommen war. »Wen juckt das schon, wenn du dich vor deinem eigenen Schatten fürchtest? Mich nicht. Fühl’ mich bestens. «
    Sie sah auch ganz danach aus. Cheryl Fromm war ideales Material für feuchte Träume, aber zu gescheit, als daß irgendeiner auch nur andeutungsweise versucht hätte, sie anzumachen.
    »Hin und wieder bekommt jeder von uns das tiefe Grauen zu schmecken«, entgegnete ihr dann Quaid, und seine milchigen Augen musterten eindringlich ihr Gesicht, lauerten auf ihr weiteres Verhalten und bemühten sich, wie Steve wußte, eine Schwachstelle in ihrer Überzeugung zu finden.
    »Aber ich nicht.«
    »Keine Ängste? Keine Schreckensbilder?«
    »Nicht die Bohne. Komm’ aus ‘ner intakten Familie; hab’ keinerlei Leichen im Keller. Nicht mal Fleisch eß ich, hab’ also kein mieses Gefühl, wenn ich an ‘nem Schlachthaus vorbeifahre. Kann leider nicht die kleinste bekackte Macke vorweisen. Bedeutet das etwa, ich existiere nicht wirklich?«
    »Es bedeutet«, Quaids Augen waren Schlangenschlitze, »es bedeutet,
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