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Das 1. Buch Des Blutes - 1

Das 1. Buch Des Blutes - 1

Titel: Das 1. Buch Des Blutes - 1
Autoren: Clive Barker
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in die Luft starren sehen, intensiv auf nichts fixiert.«
    Neunzehn: Sie wäscht sich. Sie ist bis zur Taille entblößt, ihre Brüste sind schwer, ihr Gesicht ausdrucksleer. Das Fleisch hat eine dunklere Schattierung als auf den vorherigen Fotos.
    »Sie hat sich regelmäßig gewaschen. Ließ nie zwölf Stunden rumgehn, ohne sich von Kopf bis Fuß zu waschen.«
    »Das Fleisch wirkt…«
    »Reif?«
    »Dunkler.«
    »Es ist ziemlich warm in ihrem kleinen Zimmer; und ‘n paar Fliegen sind auch drin bei ihr. Sie haben das Fleisch aufgestöbert. Ihre Eier gelegt. Ja, es kriegt so ziemlich den optimalen Reifegrad.«
    »Gehört das mit zum Plan?«
    »Klar. Wenn das Fleisch sie schon im frischen Zustand abgestoßen hat, wie sah’s dann mit ihrem Ekel bei verfaultem Fleisch aus ? Das ist die Crux an ihrem Dilemma, nicht ? Je länger sie mit dem Essen wartet,
    desto mehr ekelt sie das an, was ihr als Nahrung zur Verfügung steht.
    Sie steckt in der Zwickmühle: zwischen ihrem Horror vor Fleisch einerseits und ihrer krassen Angst vorm Sterben andererseits. Was von beiden ist stärker im Endeffekt?«
    Steve steckte jetzt gleichermaßen in der Zwickmühle. Einerseits war dieser Scherz schon zu weit gegangen, und Quaids Experiment erwies sich nachgerade als eine Übung in Sadismus, andererseits wollte Steve wissen, bis zu welchem Punkt diese Geschichte noch vorangetrieben worden war. Es hatte etwas unbestreitbar Faszinierendes, die Frau leiden zu sehen.
    Auf den nächsten sieben Fotos - zwanzig, einundzwanzig, zwei-, drei-, vier-, fünf-, sechsundzwanzig - war der schon bekannte gleich-bleibende Kreislauf abgelichtet. Schlafen, Waschen, Pissen, Fleischbegucken. Schlafen, Waschen, Pissen…
    Dann die Siebenundzwanzig.
    »Siehst du das?«
    Sie hebt das Fleisch hoch. Ja, sie hebt es hoch, nacktes Grausen im Gesicht. Das Stück Rinderkeule sieht voll ausgereift aus, gesprenkelt mit Fliegeneiern. Üppig-blumig.
    »Sie beißt rein.«
    Das nächste Foto: mit ihrem im Fleisch vergrabenen Gesicht.
    Steve schmeckte förmlich das verrottete Fleisch hinten im Rachen.
    Sein Bewußtsein assoziierte unwillkürlich Gestank und schuf eine Fäulnissoße für seine aufnahmebereite Zunge. Wie brachte sie das nur fertig?
    Neunundzwanzig: Sie erbricht sich in den Eimer in der Zimmerecke.
    Dreißig: Sie sitzt da und schaut den Tisch an. Er ist leer. Den Wasserkrug muß sie gegen die Wand geschleudert, den Teller zertrümmert haben. Das Rindfleisch liegt am Boden, ein schleimiger Klumpen des Zerfalls.
    Einunddreißig: Sie schläft. Ihr Kopf verliert sich im Gewirr der Arme.
    Zweiunddreißig: Sie steht auf. Sie schaut wieder das Fleisch an, widersetzt sich ihm. Der Hunger steht ihr ins Gesicht geschrieben.
    Gleicherweise der Ekel.
    Dreiunddreißig: Sie schläft.
    »Wie lange geht das jetzt?« fragte Steve.
    »Fünf Tage. Nein, sechs.«
    Sechs Tage.
    Vierunddreißig: Sie ist eine schemenhafte Gestalt, schleudert sich augenscheinlich gegen eine Wand. Schlägt vielleicht mit dem Kopf dagegen. Steve konnte das nicht genau sagen. Fragen brachte er keine mehr raus. Etwas in ihm wollte nicht informiert werden.
    Fünfunddreißig: Sie schläft wieder, diesmal unterm Tisch. Der Schlafsack ist in Stücke gerissen, Stoffetzen und Teile der Füllung liegen im Raum verstreut.
    Sechsunddreißig: Sie spricht zur Tür, durch die Tür, und weiß, daß man ihr nicht antworten wird.
    Siebenunddreißig: Sie ißt das verpestete Fleisch. Still sitzt sie unterm Tisch, wie eine Wilde in ihrer Höhle, und zerrt mit den Schneidezähnen am Fleisch. Ihr Gesicht ist wieder ausdruckslos; ihre ganze Energie ist auf das augenblickliche Vorhaben ausgerichtet: zu essen, zu essen, bis der Hunger verschwindet, bis die brennende Qual in ihrem Bauch und der kranke Taumel in ihrem Kopf verschwinden.
    Steve starrte die Fotografie an.
    »Ich war echt verblüfft«, sagte Quaid, »wie plötzlich sie weich wurde.
    Eben noch schien sie so viel Widerstandskraft zu haben wie nur je.
    Der Monolog an der Tür war die gleiche Mischung aus Drohungen und Abbitten, wie sie sie tagein, tagaus abgeliefert hat. Dann brach sie zusammen. Einfach so. Hockt sich unter den Tisch und ißt das Rindfleisch bis auf den Knochen auf, als ob’s der delikateste Braten wäre.«
    Achtunddreißig: Sie schläft. Die Tür ist auf. Licht strömt herein.
    Neununddreißig: Das Zimmer ist leer.
    »Wo ist sie hin?«
    »Sie ist nach drunten geschlendert. Kam in die Küche, trank mehrere Glas Wasser und saß dann drei oder vier
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