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Darwinia

Darwinia

Titel: Darwinia
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hörte meist nur zu. Vom Photographen der Expedition erwartete man nicht, dass er wissenschaftliche Meinungen von sich gab, und das war vielleicht gut so.
    Der Schiffsarzt bedachte Finch mit einem bösen Blick und bemühte sich um Carolines Aufmerksamkeit. »Haben Sie schon ein Unterkommen in London, Mrs. Law?«
    »Lily und ich werden bei Verwandten wohnen«, sagte Caroline.
    »Ach was! Der englische Cousin? In London gibt es nur Soldaten, Waldläufer und Ladenbesitzer.«
    »Ja, Sie haben Recht. Die Familie führt ein Eisenwarengeschäft.«
    »Sie sind eine tapfere Frau. Das Leben im Grenzland…«
    »Es ist ja nicht für ewig, Doktor.«
    »Während die Männer Snarks jagen!« Etliche Männer sahen ihn fragend an. »Lewis Carroll! Ein Engländer! Wo bleibt Ihre Bildung, Gentlemen?« [12]
    Schweigen. Schließlich sagte Finch: »Europäische Schriftsteller werden in Amerika kaum zur Kenntnis genommen, Doktor.«
    »Natürlich. Tut mir Leid. Der Mensch vergisst. Wenn er Glück hat.« Der Arzt sah Caroline herausfordernd an. »London war einst die größte Stadt der Welt. Wussten Sie das, Mrs. Law? Nicht so primitiv wie jetzt. Baracken und Abtritte und Morast. Aber ich wünschte, ich könnte Ihnen Kopenhagen zeigen. Das war eine Stadt! Eine so kultivierte Stadt.«
    Guilford kannte Menschen wie den Schiffsarzt. Einen fand man in jeder Hafenkneipe in Boston. Entwurzelte Europäer, die grimmige Toasts auf London oder Paris oder Prag oder Berlin ausbrachten und einen Club suchten, dem sie beitreten konnten, irgendeinen Heimatverein, ein Plätzchen, wo ihre Sprache gesprochen wurde, als sei sie nicht schon tot oder zum Tode verurteilt.
     

     
    Caroline aß still vor sich hin, und selbst Lily war merkwürdig ruhig, der ganze Tisch gewahrte, dass man die Mitte überschritten hatte und den bedrohlichen Rätseln mit einem Mal näher war als den grauen Gewissheiten von Washington oder New York. Nur Finch schien ungerührt und diskutierte hitzig die Bedeutung von Hornfeuerstein mit jedem, der es hören wollte.
    Guilford war ihm zum ersten Mal in den Büros von Atticus and Pierce begegnet, einem Bostoner Lehrbuchverlag. Liam Pierce hatte sie miteinander bekannt gemacht. Im Jahr zuvor war Guilford im Westen unterwegs gewesen, und zwar mit Walcott, dem offiziellen Photographen für die Landvermessungen am Gallatin River und Deep Creek Canyon. Finch war dabei, eine Expedition zu organisieren, um das Hinterland des südlichen Europas kartographisch zu erfassen, und er hatte gut betuchte Hintermänner und die Unterstützung des Smithsonian Instituts. Er suchte noch einen erfahrenen Photographen. Guilford erfüllte die Bedingungen, weshalb Pierce ihn wahrscheinlich mit Finch bekannt gemacht hatte; vielleicht hing es aber auch damit zusammen, dass Pierce zufällig Carolines Onkel war.
    Tatsächlich wurde Guilford den Verdacht nicht los, Pierce habe ihn lediglich ein weiteres Mal loswerden wollen. Der erfolgreiche Verleger und sein angeheirateter Neffe waren nicht immer einer Meinung, auch wenn jeder von ihnen Caroline ins Herz geschlossen hatte. Nichtsdestoweniger war Guilford den Umständen dankbar, mit Finch in die neue Welt zu dürfen. Die Bezahlung war verhältnismäßig gut, und die Arbeit würde ihn bekannt machen. Der Kontinent faszinierte ihn nun mal. Er hatte nicht bloß die Berichte der Donnegan-Expedition gelesen (1918, am Rand der Pyrenäen entlang, von Bordeaux nach Perpignan), sondern (was er für sich behielt) auch die ganzen Geschichten über Darwinia in den Abenteuermagazinen Argosy und All-Story Weekly, besonders die von Edgar Rice Burroughs.
    Womit Pierce nicht gerechnet hatte, war Carolines Hartnäckigkeit. Sie wollte kein zweites Mal mit Lily allein bleiben, auch nicht für ein, zwei Monate, egal wie viel es kostete und egal wie oft ihr ein Dienstmädchen versprochen wurde. Nicht dass Guilford sie besonders gern allein gelassen hätte, aber die Expedition war der Angelpunkt seiner Karriere, womöglich der Unterschied zwischen Armut und Sorglosigkeit. Doch Caroline lenkte nicht ein. Sie drohte, ihn zu verlassen (obwohl das ein Widerspruch war). Guilford ging ruhig und geduldig auf all ihre Einwände ein und sie gab nicht einen Zoll nach.
    Schließlich stimmte sie einem Kompromiss zu, demzufolge Pierce ihr die Reise nach London bezahlte, wo sie mit Lily im Schoß der Familie blieb, derweil Guilford seine Reise fortsetzte. Zur Zeit des Wunders waren ihre Eltern zu Besuch in London gewesen und sie wollte unbedingt sehen,
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