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Darwin und die Götter der Scheibenwelt

Darwin und die Götter der Scheibenwelt

Titel: Darwin und die Götter der Scheibenwelt
Autoren: Terry Pratchett , Ian Stewart , Jack Cohen , Erik Simon
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Starrköpfe – nicht die Mehrheit, obwohl sie eine Menge Lärm machen, aber eine nicht zu vernachlässigende Minderheit –, die leugnen, dass jemals Evolution stattgefunden hat. Die meisten von ihnen sind Amerikaner, weil eine Laune der Geschichte (im Verein mit einigen eigenartigen Steuergesetzen) die Evolution zu einem der wichtigsten Lehrstoffe in den Vereinigten Staaten gemacht hat. Da geht es in der Schlacht zwischen Darwins Anhängern und Gegnern nicht einfach um hochgeistige Fragen. Es geht um Dollars und Cents und darum, wer Herzen und Hirne der nächsten Generation beeinflussen wird. Der Kampf tarnt sich als religiös und wissenschaftlich, aber im Grunde ist er politisch. In den Zwanzigerjahren erklärten es vier Staaten (Arkansas, Mississippi, Oklahoma und Tennessee) für gesetzwidrig, Kinder an öffentlichen Schulen in Evolution zu unterrichten. Dieses Gesetz blieb fast ein halbes Jahrhundert lang in Kraft; es wurde schließlich 1968 vom Obersten Gerichtshof aufgehoben. Das hindert Befürworter der ›Schöpfungswissenschaft‹ nicht an wiederholten Versuchen, diese Entscheidung zu umgehen oder sie sogar rückgängig machen zu lassen. Im Großen und Ganzen ist ihnen das jedoch nicht gelungen, unter anderem deshalb, weil die Schöpfungs-›Wissenschaft‹ keine Wissenschaft ist; es fehlt ihr an intellektueller Strenge, sie hält keiner objektiven Überprüfung stand, und manchmal ist sie einfach nur bekloppt.
    Man kann der Ansicht sein, dass Gott die Erde erschaffen hat, und niemand kann einem das Gegenteil beweisen. In diesem Sinne ist solch ein Glaube vertretbar. Wissenschaftler werden vielleicht meinen, dass diese ›Erklärung‹ nicht sehr hilfreich ist, irgendetwas zu verstehen, aber das ist ihr Problem; allen verfügbaren Beweisen zufolge könnte es sich so zugetragen haben. Es ist aber nicht sinnvoll, der Bibelchronologie des angloirischen Bischofs John Ussher zu folgen und anzunehmen, der Schöpfungsakt habe sich im Jahre 4004 vor Christi Geburt ereignet, denn es gibt überwältigende Beweise, dass unser Planet weitaus älter ist – eher 4,5 Milliarden Jahre als sechstausend. Entweder versucht Gott vorsätzlich, uns in die Irre zu führen (was denkbar wäre, aber nicht gut zu den üblichen religiösen Botschaften passt und durchaus Ketzerei sein kann), oder wir stehen auf einem sehr alten Felsbrocken. Angeblich glauben 50 % der Amerikaner, die Erde sei vor weniger als 10 000 Jahren erschaffen worden, und falls das stimmt, ist es ziemlich traurig für das teuerste Bildungswesen der Welt.
    Amerika schlägt von neuem eine Schlacht, die in Europa vor einem Jahrhundert ausgekämpft wurde. Das europäische Ergebnis war ein Kompromiss: Papst Pius XII. akzeptierte in seiner Enzyklika von 1950 die Wahrheit der Evolution, doch es war kein totaler Sieg für die Wissenschaft.* [* Isaac Asimov zufolge ereignete sich der praktischste und dramatischste Sieg der Wissenschaft über die Religion im 17. Jahrhundert, als die ersten Kirchen Blitzableiter bekamen.] Die Bibel, wie sein Nachfolger Johannes Paul II. sanft ausführte, »will nicht lehren, wie die Himmel gemacht wurden, sondern wie man in den Himmel kommt«. Die Wissenschaft war gerechtfertigt, indem die Evolutionstheorie allgemein anerkannt war, doch frommen Menschen stand es frei, diesen Prozess als die Art und Weise zu deuten, wie Gott Lebewesen erzeugt. Und das ist eine sehr gute Art und Weise, wie Darwin erkannt hat; also können alle zufrieden sein und mit dem Streit aufhören. Den Kreationisten dagegen scheint nicht wirklich aufgegangen zu sein, dass sie, wenn sie ihre religiösen Vorstellungen an einem sechstausend Jahre alten Planeten festmachen, sich einen Bärendienst erweisen und sich keinen gangbaren Ausweg lassen.
    Darwin und die Götter der Scheibenwelt handelt von einer viktorianischen Gesellschaft, wie es sie nie gegeben hat – nun ja, nachdem die Zauberer eingriffen, hat es sie nicht mehr gegeben. Es ist nicht die Gesellschaft, wie sie die Kreationisten gern hätten, denn die wäre weitaus ›fundamentalistischer‹, voller selbstgerechter Leute, die allen anderen sagen, was sie zu tun haben, und die jede echte Kreativität ersticken. Das wirkliche viktorianische Zeitalter war ein Paradox: eine Gesellschaft mit einer sehr starken, aber ziemlich flexiblen religiösen Grundlage, wo es als sicher galt, dass Gott existiert; eine Gesellschaft jedoch, die eine ganze Reihe von intellektuellen Revolutionen hervorbrachte, die ziemlich direkt
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