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"Dann iss halt was!": Meine Magersucht – wie ich gekämpft habe – wie ich überlebe (German Edition)

"Dann iss halt was!": Meine Magersucht – wie ich gekämpft habe – wie ich überlebe (German Edition)

Titel: "Dann iss halt was!": Meine Magersucht – wie ich gekämpft habe – wie ich überlebe (German Edition)
Autoren: Christian Frommert , Jens Clasen
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( DOSB ). Und das auch nur, weil Axel, Chef des Unternehmens, das den DOSB vermarktet, mir meinen eigenen VIP -Shuttle-Service, meinen exquisiten Kranken-Transport, einrichtete: Attention, Very Ill Person. Denn im Deutschen Haus, Downtown Vancouver, lag im Erdgeschoss, gleich links neben dem Eingang, hinter den Körperscannern, mein temporärer Arbeitsplatz: Ich war mit der Betreuung und Koordination des Medienzentrums im Deutschen Haus beauftragt. Ich, das Gerippe, der Geliebte von Anna, Herrscher über das Magerquark-Imperium.
    Okay, ab und zu war ich im Supermarkt, um meine Vorräte aufzustocken. Offenbar wachsen Discounter mit der Größe ihres Landes. Denn die kanadischen Warenhallen übertrafen selbst die, die ich aus den USA und Südafrika kannte. Auf meiner persönlichen Ratingliste bekommen sie ein Triple A: Alles Außer Autos.
    Und so startete ich nahezu jeden Tag meinen ganz eigenen Riesenslalom. Ich ließ die Backwaren links liegen, schlängelte mich geschmeidig und blitzschnell an den XXXL -Packungen von Chocolate Chips, Crackern & Co. vorbei, schnurstracks zum Magerquark. Regale voller NO - FAT -Produkte, glas-, flaschen-, tüten-, eimerweise. Ein wahres Schlaraffenland. Fett: 0, Kalorien: 0, Kohlenhydrate: 0. Alles da, was Christian brauchte.
    Das, dachte ich, sind doch mal Nährstofftabellen, die echt Gehalt haben. Sie lasen sich wie ein Liebesbrief. Manchmal wunderte es mich, dass es nicht bereits Joghurt mit negativen Fettwerten gab. »Minus 2 Prozent Fett – abnehmen beim Essen!« Das wäre ein Slogan nicht nur nach amerikanischem Muster, sondern auch ganz nach meinem Geschmack.
    Keine Frage: Ich genoss den Aufenthalt in meinem neonlichtbeschienenen Paradies, während sie oben im sonnigen Whistler Mountain schnell abfuhren, weit sprangen, scharf schossen und Goldsilberbronze-Zeremonien feierten.
    Ich war glücklich auf meiner Piste, hier unten in der grauen Ecke Vancouvers. Der Einkaufswagen gab mir Halt, die schwer im drahtigen Wagenbauch ruhenden Nullkommanull-Produkte Sicherheit, und die Regale zeigten mir den Weg. Der irgendwann aber auch einmal zur Kasse führte und unweigerlich zur Frage: Wie schaffe ich das alles wieder in mein Ferienverlies? Manchmal half mir ein zuvorkommender Mitarbeiter. Er gab sein Mögliches im Dreikampf Tütenträger, Einkaufswagenanschieber und Wegfreiräumer. Ohne ihn und pfundweise Quark hätte ich diese Reise sicherlich nicht überstanden.
    Und damit wären die dunklen Ahnungen meiner guten Freundin Steffi erfüllt gewesen. Meine Ein-und-Alles-Steffi. Die Steffi, ohne die es mich schon längst nicht mehr gegeben hätte. Natürlich begleitete sie mich auch zum Flughafen, und ich spürte, dass sie nicht unbedingt damit rechnete, mich dort auch wieder abholen zu können.
    Sicher habe ich schon erwähnt, dass ich nicht an Zufälle glaube? Ich sage das nämlich oft, weil ich einfach nicht daran glaube, dass das Leben aus einer Aneinanderreihung mehr oder weniger glücklicher Zufälle bestehen soll. Ich schleppte mich also in den Lufthansa-Flieger, der mich womöglich zum letzten Mal auf Reisen schickte. Ich hielt mir die Rundum-Fürsorge der Flugbegleiter vom Leib, indem ich ihnen mal wieder meine Geschichte auftischte: dass ich »gerade krank« sei, bestimmte Dinge »nicht essen und nicht trinken« dürfe. Und so gab ich die Menükarte mit einem betont routiniert gemurmelten »Danke, Apfel oder Papaya genügen und Tee mit Süßstoff und Cola light, aber bitte keine Banane« zurück. Und dabei fiel mein Blick auf die silberne Tafel mit dem weißen Schlüssel auf rotem Wappengrund. »Dieses Flugzeug«, stand da, »trägt den Namen der Stadt Worms.« Worms am Rhein. Sollte ich meine letzte Reise tatsächlich in einem Flieger antreten, der den Namen Worms trägt? Worms ist mein Geburtsort.
    Mein Schwager, Bernd der Arzt, hatte lange die dürre Hoffnung, dass der Pilot mich vielleicht erspähen und sich weigern könnte, ein laufendes Skelett in den Himmel zu heben. Der Flieger startete, mit mir an Bord. Vorher hatte ich mir bequeme Sitze in der ersten Reihe gesichert. Denn »ich bin krank und muss ständig auf die Toilette«. Es brauchte nur diese paar dürren Worte, alles andere stand in meinem Gesicht, auf meinem Körper in fetten Buchstaben geschrieben. Auch am Lufthansa-Schalter funktionierte diese Tour. So eine Magersucht, dachte ich, ist auch zu etwas nutze. Sogar für dieses Verhalten kennt die Psychotherapie einen Begriff: »Krankheitsgewinn«.
    Wieder einmal war
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