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Daniel und Ismael

Daniel und Ismael

Titel: Daniel und Ismael
Autoren: J. Walther
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nicht hinmöchtest.”
    Er schüttelt den Kopf. “Keine Chance.”
    Ich überlege krampfhaft, was ihn aufheitern kann. Da kommt mir eine Idee. “Fahr doch einfach wo anders hin. Das erfahren deine Eltern doch nicht.”
    Er sieht mich mit großen Augen an. “Quatsch, wo soll ich denn hin. So viel Geld habe ich doch gar nicht.”
    Ich werfe die Angel aus: “Zelten ist doch nicht so teuer. Und ich könnte ja mitkommen, dann teilen wir uns rein.” Daniel, Daniel, er wird nie ja sagen, er riecht ja gleich Lunte.
    “Echt? Wie sollen wir das denn anstellen?”
    “Naja, du meldest dich einfach kurz vorher selbst ab. Dann steigst du ganz normal in den Zug, deine Eltern werden dich ja verabschieden. Und ein paar Bahnhöfe weiter steigst du wieder aus, da treffen wir uns. Hast du ein Zelt?”, ich reiße ihn mit meiner Abenteuerlust einfach mit.
    “Nein.”
    “Egal, ich habe eins, da passen wir beide rein.” Ein ziemlich enges Zweimannzelt, aber das muss ich ja nicht erwähnen. “Wir könnten zum Zeltplatz am Inselsee fahren, dort ist es echt schön. Da können wir jeden Tag in der Sonne liegen und schwimmen gehen, oder mit dem Ruderboot rumtümpeln.” Ich merke, dass ich langsam euphorisch werde. Die Vorstellung ist einfach zu schön, zusammen mit Ismael würde für mich der kleinste Baggersee zum Mittelmeer.
    “Da muss ich erstmal drüber nachdenken, ich hab meine Eltern noch nie belogen.”
    “Du belügst sie doch nicht direkt, du fährst ja zelten, nur eben woanders hin.”
    “Hm.” Ismael tritt ans Fenster. Ich beobachte seine Silhouette vor dem hellen Fenster. Er steht ganz ruhig da, ich könnte ihn jetzt auf ein perfektes Schwarzweißfoto bannen. Schließlich dreht er sich langsam um: “Es ist eine verrückte Idee, aber okay.” Und in seinem Gesicht ist ein Ausdruck, der seine ruhige Pose Lügen straft.

 
    9
    Ein paar Tage später radle ich in die Stadt, um das Geschenk meiner Tante einzulösen. Ihr kleiner Frisörsalon ist angefüllt von mehreren nicht mehr ganz jungen Damen, die unter Trockenhauben, Lockenwicklern und Färbepackungenschwitzen. Ich grüße freundlich und laut in die Runde. Kaum habe ich vor einem Spiegel Platz genommen, werten sie schonaus, dass ich ein netter Junger bin, und so anständig. Wenn die wüssten …
    Dann macht sich meine Tante ans Werk. Zuerst schneidet sie nur, das mag noch angehen, obwohl es verdächtig kürzer wird. Bis sie meint: “Ich würde sagen, jetzt machen wir dir noch blonde Strähnchen.” Blonde Strähnchen! Soll ich aussehen wie eine Schwuchtel, denke ich, bis mir einfällt, dass ich ja eine bin. Und irgendwie schaffe ich es nicht, mich zu sträuben. Die Haare sind noch nicht fertig, da naht schon das nächste Unglück, eine Ohrlochpistole.
    “Doch keinen Ohrring für einen Jungen!”, kreischt die eine Dame auf.
    “Er ist doch jung, er kann das tragen”, mischt sich eine andere ein, die mindestens zwanzig Jahre älter und dreimal so nett aussieht.
    “Na, was ist Daniel, tut fast nicht weh”, lockt meine Tante.
    “Ein richtiger Junge trägt doch keine Ohrringe wie ein warmer Bruder!”, ruft es aus einer anderen Ecke.
    Das gibt den Ausschlag. “Los, mach es”, sage ich todesmutig zu meiner Tante. Wenn, dann will ich eine richtige Schwuchtel sein.
    Als alles fertig ist, traue ich mich gar nicht so richtig, in den Spiegel zu blicken, es sieht irgendwie – ungewohnt aus. Die Haare kürzer, heller und etwas aufgewuschelt, dazu ein silberner Stecker im Ohr. Vorsichtig schaue ich in die Runde. Die eine alte Kuh schaut mich eher skeptisch an, aber die anderen gucken freundlich. Es kann also nicht so schlimm sein.
    Wo ich nun schon einmal in der Stadt bin, kann ich mir auch noch was Neues zum Anziehen kaufen. Im dritten Laden werde ich fündig. Ein enges Shirt mit V-Ausschnitt und einelässige Jeans. Bin das wirklich ich im Spiegel? Nicht schlecht. Beschwingt verlasse ich den Laden, die neuen Sachen behalte ich gleich an.
    Am Bahnhof kommt mir ein Junge in Uniform mit einem großen Sack auf dem Rücken entgegen. Sein Gesicht kommt mir bekannt vor.Plötzlich fällt es mir ein - er ist der Junge aus dem Schulbus. Ohne seine langen Haar ist er kaum wieder zuerkennen, langweilig und uninteressant. Der Zauber seiner unnahbaren Ausstrahlung ist wie weggeblasen.Und ich bin nicht mehr der kleine Schuljunge, der ihn anhimmelt. Eigenartig aufgeregt fahre ich heim und denke an Ismael.

 
    10
    Freitag Nachmittag radle ich zu Ismael, seine Eltern und seine
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