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Danach

Danach

Titel: Danach
Autoren: Koethi Zan
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für sie schwer zu verdauen.
    Langsam blätterte Tracy die Bilder durch, während wir danebenstanden und ihr über die Schulter blickten. Auf sämtlichen Fotos waren junge Frauen von unterschiedlicher Größe und Statur zu sehen, in natürlichen und unnatürlichen Posen, nackt und bekleidet, in Farbe, in Schwarzweiß, in Sepia. Am verstörendsten waren ihre Gesichter, auch wenn sie auf vielen Fotos unscharf waren. Manche Mädchen lächelten, andere schienen Angst oder Schmerzen zu haben. Und einige Gesichter gehörten Leichen in den verschiedensten Stadien der Verwesung.
    Adele schlug die Hände vor den Mund, ihre Augen waren weit aufgerissen. Sie sah aus, als müsste sie sich übergeben.
    Tracy schob die Fotos mechanisch zu einem Stapel zusammen, legte sie zurück in die Schachtel und machte den Deckel zu.
    »Ich finde nicht, dass wir uns das angucken müssen«, erklärte sie mit einer fast beängstigenden Gelassenheit.
    Sie wandte sich an Christine: »Vielleicht ist dir das ein Trost. Ein paar von den Fotos sehen aus, als wären sie mindestens zwanzig Jahre alt. Du warst also ganz sicher nicht der Auslöser von allem.« Aber Christine konnte nur genauso entsetzt auf die Schachtel starren wie wir alle.
    Was hatten diese Bilder zu bedeuten? Ich tastete nach Jennifers Foto in meiner Tasche. Befand sich auch ein Bild von ihr in der Schachtel?
    »Lasst uns einen Blick in die Notizbücher werfen«, schlug ich vor und bemühte mich, meine Stimme unter Kontrolle zu halten, obwohl mir eigentlich nach Schreien war.
    Tracy holte die Bücher aus der Holzkiste und drückte jedem von uns eines in die Hand. Ich gab mir Mühe, die Seiten beim Umblättern nur mit den Fingerspitzen zu berühren, so als enthielten die Worte, die er darauf geschrieben hatte, ein tödliches Gift.
    »Was hat das hier zu bedeuten?«, fragte ich schließlich. Ich las laut vor, was Jack Derber in seiner gleichmäßigen, eckigen Schrift zu Papier gebracht hatte: »Versuchsobjekt H-29 hält Schmerz sechs Sekunden lang aus.«
    Wir drehten uns alle gleichzeitig zu Adele um. Nur sie konnte uns sagen, was es damit auf sich hatte. Aber sie schien unter Schock zu stehen. Sie nahm das Notizbuch aus meinen Händen entgegen und strich zu unser aller Überraschung zärtlich darüber, als sei es der Brief einer verloren geglaubten Liebe.
    »Das sind seine … Aufzeichnungen«, flüsterte sie ehrfürchtig. »Die Aufzeichnungen, nach denen ich gesucht habe. Seit zehn Jahren.«
    »Könnten Sie das bitte ein bisschen genauer ausführen?«, forderte Tracy in scharfem Ton.
    Adele hob den Blick und sah in unsere anklagenden Gesichter, die sie vollkommen zu verwirren schienen. Allmählich dämmerte ihr, welche Wirkung Jacks Aufzeichnungen auf uns hatten und auch auf jeden anderen normalen Menschen gehabt hätten. Sie versuchte es mit einer Erklärung: »Es ist nicht das, wofür Sie es halten. Jack … Jack hatte das große Glück, Zugriff auf streng geheime Dokumente der Regierung zu erhalten. CIA-Untersuchungen über gewisse … Zwangsmaßnahmen, die in den fünfziger Jahren bei Soldaten und Zivilpersonen Anwendung fanden. Sie wissen schon, Gehirnwäsche und so etwas.«
    »Und warum sind die Aufzeichnungen dann in seiner Handschrift abgefasst?« Adeles Erklärung schien Tracy nicht zu überzeugen.
    »Seine Kontaktperson erlaubte ihm nicht, die Dokumente zu kopieren, und daher musste er alles von Hand abschreiben. Er wollte eine Studie über das wahre Ausmaß von Gehirnwäsche veröffentlichen. Wir haben gemeinsam an diesem Projekt gearbeitet, aber seine Notizen hat er immer streng unter Verschluss gehalten.«
    »Adele, ich nehme Ihnen nur ungern Ihre Illusionen, aber ich glaube nicht, dass diese Studie auf geheimen CIA-Aufzeichnungen basiert«, sagte Tracy mit wachsender Wut. Sie klopfte auf die Pappschachtel mit Fotos und fügte hinzu: »Für mich deutet alles darauf hin, dass er die Versuchsdaten selbst erhoben hat. Und ich bin mir auch ziemlich sicher, dass er nichts davon veröffentlichen wollte. Schließlich ist genau das der Beweis für seine Verbrechen.«
    Adele schüttelte verwirrt den Kopf. In ihre Augen war ein panischer Ausdruck getreten. »Ich weiß nicht, worauf Sie …«
    Sie wurde von Christine unterbrochen. »Gehirnwäsche? Vergessen Sie nicht, dass ich ebenfalls Psychologie studiert habe, Adele. Ich kenne diese CIA-Experimente, für die die Gehirnwäsche-Techniken der Chinesen und der Koreaner herangezogen wurden. Diese Studien sind längst in Verruf geraten.
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