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Damit ihr mich nicht vergesst - Die wahre Geschichte eines letzten Wunsches

Damit ihr mich nicht vergesst - Die wahre Geschichte eines letzten Wunsches

Titel: Damit ihr mich nicht vergesst - Die wahre Geschichte eines letzten Wunsches
Autoren: Mitch Albom
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wie Sie mir von Ihrer Kindheit in New York erzählten? Wo Sie in einer so engen Gemeinschaft aufwuchsen, dass aus dem fünften Stock des Wohnblocks jemand schrie »Albert, das ist verboten«, als Sie einen Wagen anstießen, damit vielleicht ein Apfel herunterfiele? Sie lebten mit dem erhobenen Zeigefinger Gottes auf jeder Feuertreppe.
    Nun, Sie waren unser mahnender Zeigefinger. Wie viel Gutes haben Sie getan, einfach indem Sie Böses verhindert haben? Viele von uns sind von hier weggezogen, leben mittlerweile an anderen Orten und in anderen Klimazonen, haben neue Jobs – aber im Geiste haben wir alle unseren alten Rabbiner behalten. Wir könnten aus dem Fenster schauen und sähen immer noch Ihr Gesicht, hörten Ihre Stimme im Wind.
    Doch wo sollen wir nun nach Ihnen Ausschau halten?
    Bei unseren letzten Treffen sprachen wir häufig über das Sterben und das, was danach kommt. Sie legten den Kopf schief und sangen: »Nu, Ewiger, wenn du mich holen willst, so tu es vielleicht mit wenig Schmeherzen.«
    Ach übrigens, Rebbe, Ihr Gesang. Was hatte es damit auf sich? Walt Whitman sang den elektrischen Leib. Billie Holiday sang den Blues. Sie sangen – alles. Sie konnten noch das Telefonbuch singen. Wenn ich anrief und Sie fragte, wie es Ihnen ging, antworteten Sie singend: »Der alte graue Rabbi ist auch nicht mehr, was er mal war …«
    Ich habe Sie damit aufgezogen, aber ich fand es wunderbar, und ich glaube, das geht uns allen so. Es ist auch nicht verwunderlich, dass Sie gerade einer Krankenschwester etwas vorsangen, als der letzte Schlag Sie von uns nahm. Ich stelle mir gerne vor, dass Gott sich so darüber freute, eines seiner Kinder fröhlich zu sehen, dass er just diesen Moment wählte, um Sie zu sich zu rufen.
    Nun sind Sie also bei Gott. Das glaube ich. Sie haben mir gesagt, einer Ihrer größten Wünsche sei es, uns hier unten nach Ihrem Tode mitteilen zu können, dass Sie gut angekommen sind. Sogar bei Ihrem Ableben wollten Sie noch eine Predigt halten.
    Doch Sie wussten, dass es allem zum Trotz einen massiven Grund gibt, warum Sie heute nicht zu uns sprechen können: Wenn Sie es könnten, bräuchten wir nämlich vielleicht unseren Glauben nicht. Und Ihr Glaube war das allerwichtigste für Sie. Sie waren der Vertreter in dem jiddischen Gleichnis, das Sie oft zitierten – der Vertreter, der tagtäglich wieder vor der Tür steht und mit einem Lächeln seine Waren anbietet, bis der Kunde eines Tages so erbost darüber ist, dass er ihm ins Gesicht spuckt. Worauf der Vertreter ein Taschentuch hervorzieht, die Spucke abwischt und sagt: »Es scheint zu regnen.«
    Hier gibt es heute auch viele Taschentücher, Rebbe, aber nicht, weil es regnet. Sondern weil viele von uns es nicht ertragen können, Sie gehen zu lassen. Weil viele von uns sich dafür entschuldigen wollen, dass wir durch unser Verhalten immer wieder »Geh weg« zu Ihnen gesagt und Ihrem Glauben ins Gesicht gespuckt haben.
    Ich wollte Ihre Trauerrede nicht halten. Ich hatte Angst davor. Ein Gemeindemitglied sollte keine Trauerrede für seinen geistlichen Führer halten, dachte ich. Doch nun wird mir bewusst, dass heute Tausende von Gemeindemitgliedern Trauerreden für Sie halten werden – im Auto auf dem Heimweg oder auch beim Abendessen. Eine Trauerrede ist nichts anderes als ein Resümee von Erinnerungen, und wir alle werden Sie nie vergessen, weil wir Sie gar nicht vergessen können , weil wir Sie tagaus, tagein vermissen werden. Eine Welt ohne Sie ist eine Welt mit weniger Gott, doch da Gott ein Quell ist, der nicht erlischt, kann ich das nicht recht glauben.
    Stattdessen glaube ich, dass Sie sich mit Seiner Pracht wiedervereint haben und Ihre Seele wie ein Geschenk ist. Dass Sie ein Stern an Seinem Himmel und ein warmes Leuchten in unseren Herzen sind. Wir glauben, dass Sie mit Ihren Ahnen, Ihren Töchtern, Ihrer Vergangenheit vereint sind und Frieden haben.
    Möge Gott für Sie sorgen; möge er für Sie singen und Sie für ihn.
    Wo halten wir nun nach Ihnen Ausschau, Rebbe?
    Dort, wo Sie als gütiger, liebevoller Mann Gottes stets versucht haben, unseren Blick hinzulenken.
    Wir schauen himmelwärts.

Was wir zurücklassen …

    L eere kann man nicht greifen, aber ich schwöre, dass ich sie nach dem Tod des Rebbe körperlich spüren konnte, vor allem an Sonntagen, an denen ich immer die Fahrt auf mich genommen hatte, um ihn zu besuchen. An diesen Tagen suchte ich nun häufiger Pastor Henry in seiner Kirche an der Trumbull Avenue auf. Ich lernte
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