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Dahoam is ned dahoam - Bayerische Ein- und Durchblicke

Dahoam is ned dahoam - Bayerische Ein- und Durchblicke

Titel: Dahoam is ned dahoam - Bayerische Ein- und Durchblicke
Autoren: Helmut Schleich
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fünfstündiger All-inclusive-Aufenthalt, Getränke gehen extra. Oktoberfest-Autisten, die schon auf der Bierbank stehen, bevor die »Band«, wie sie es nennen, den ersten Ton gespielt hat.
    Wenn Damen dabei sind, dann haben die sich vorher noch ein »Dürndl« gekauft, eines mit Tüll und Seide, für die Wiesn definitiv zu viel des Guten, und wehe, da kommt ein Fleck drauf. Den Kontakt mit Unbekannten vermeiden sie schon daher strikt, was heißt hier »Volksfest«?
    Ein Muss sind »die Wiesen«, glücklicherweise mit Internetanschluss, sodass man seinen Aufenthalt auch gleich auf Facebook dokumentieren kann. Und durchreglementiert wie ein Nato-Gipfel.
    Einlasskontrollen, Armbändchen zur Wiedererkennung, Raucherkäfige für Nikotinsüchtige, was immer dann besonders bizarr wird, wenn einer mit Zigarre kommt. Das war doch bis vor einigen Jahren die Krönung des bayerischen Bierzeltbesuches, bei einer adretten Bauchladen-Verkäuferin eine Zigarre zu erstehen und sie dann einem Fabrikschlot gleich wegzupaffen. Aber wir leben in einer blitzblanken Zeit, also ab in den Käfig.
    Das wäre es überhaupt – alles auf »den Wiesen« in Käfige zu packen, Trinker, Schläger, Kinder, Frauen, Promis, Japaner, nur die Hendl nicht, die müssen unbedingt frei laufend sein, schließlich setzen »die Wiesen« seit Jahren Öko-Standards! Mülltrennung, Zweitverwendung des Wassers zur Krug-Spülung in den Toiletten (oder war’s umgekehrt?). Toll. Das ist kein echtes Fest, auf dem der Deutsche nicht sein erotisches Verhältnis zum Müll ausleben kann … »Die Wiesen« als Zoo und die Münchner als Besucher.
    Für die Trachtler gibt es einen solchen Zoo ja seit ein paar Jahren. Gegen drei Euro Eintritt kann man sich dort, durch einen Zaun geschützt vor der globalisierten Saufveranstaltung, eine andere Wiesn geben. In Verkennung jeglicher chronologischer Grundbegriffe hat man sie »Oide Wiesn« genannt. Das ist die Kapitulation des bayerischen vor dem eigenen Nationalrausch. In der Tat muss man mittlerweile offenbar ein zweites Oktoberfest ausrichten, ein neues, gegen Eintritt, um dem Ganzen noch einen Hauch von münchnerischem Anstrich zu verleihen.
    »Die Wiesen« – das ist übrigens der Neumünchner Plural, ich musste mich auch schon von Schnösels belehren lassen, dass, wenn »die Wiesn« Einzahl wäre, dann müsste es ja schließlich »Wiese« heißen.
    Die Schilder »Zur Fest-Wiese« in den U-Bahnhöfen hat die Stadt München seit 2009 entfernt, angeblich, weil sie bei vielen Neumünchnern die Frage hervorriefen: »Und wo geht’s zum Oktoberfest?« …

Exzesse bitte!
    von Thomas Merk
    Ich gestehe es lieber gleich freiwillig: Auch wenn ich mich als Eingeborener nicht direkt zu den Neumünchner Schnöseln zählen würde, kann ich die Sache mit dem Wiesn-Plural nur von ganzem Herzen unterschreiben. Es gibt nämlich für mich nicht eine Wiesn, sondern viele unterschiedliche. So viele, dass man sämtliche Kühe Oberbayerns drauf weiden lassen könnte – wäre denn die Theresienwiese das, was ihr Name suggeriert, und nicht die triste, platte Asphaltwüste mit ein paar kümmerlichen Grasresten, als die sie sich uns Münchnern elfeinhalb Monate im Jahr präsentiert.
    Meine erste Wiesn, die ich noch aus der Ferne miterlebt habe, hatte die Form einer ziemlich lädierten Schulter, mit der mein Vater an einem Sonntagmorgen im September am familiären Frühstückstisch erschien. Mein Vater, ein zutiefst friedlicher Mann, war am Abend zuvor in eine Bierzeltschlägerei geraten – so was war damals noch an der Tagesordnung, denn es gab noch keine Bierbänke in den Zelten, sondern Tische und Stühle, deren Beine man ruckzuck in baseballschlägerartige Waffen verwandeln konnte. Die Masskrüge hatten noch keine Sollbruch-Kerben an den Henkeln, was sich Jahr für Jahr in einer ganzen Reihe von Oktoberfest bedingten Schädelverletzungen niederschlug. Die lädierte Schulter meines Vaters war da eher eine leichte Verletzung im Wiesnkampf, über die er sich als Schlichter zwischen rauschbefeuerten Kampfhähnen nicht beschweren durfte – »Was muaßt dich denn auch einmischn?«. Aber ich als kleiner Bub, der noch nicht mit auf die Wiesn durfte, hatte bis zum Ende des Oktoberfests große Angst um ihn.
    Bald kamen dann erste eigene Wiesnerlebnisse. Ich sah fasziniert meinem Großvater zu, wie er mit einem umständlichen Ritual das Virginier-Rauchen zelebrierte: Büffelgrashalm aus der langen, leicht krummen Zigarre ziehen, genüsslich am Tabak
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