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Dahoam is ned dahoam - Bayerische Ein- und Durchblicke

Dahoam is ned dahoam - Bayerische Ein- und Durchblicke

Titel: Dahoam is ned dahoam - Bayerische Ein- und Durchblicke
Autoren: Helmut Schleich
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in der Bräurosl als »Ordner« zu arbeiten – so nannte man damals die Leute von der Security. Aus Spaß an der Freud, wie er versicherte. Der Otto, eine Seele von einem Menschen, konnte keiner Fliege etwas zuleide tun und schwärmte uns am ersten Wiesnabend ganz beglückt vor, wie wunderbar man alle im Bierzelt auftretenden Probleme lösen könne, wenn man nur ein wenig Psychologie und einen gesunden Menschenverstand mitbringe. Im Lauf der folgenden zwei Wochen sah der anfangs wie aus dem Ei gepellte Otto dann allerdings jeden Tag zunehmend lädierter aus – mal ein blaues Auge (»Da hat einer aus Versehen den Ellenbogen hochgerissen«), mal ein wehes Kreuz (»So was kommt halt vor, wenn man einen Zwei-Zentner-Mann aus dem Zelt tragen muss«). Spätestens nach dem zweiten Wiesnwochenende war auch Ottos Uniform mit der Bräurosl-Schirmmütze nicht mehr die ansehnlichste – schließlich hatte er nur die eine und hauste in einem VW-Bus irgendwo hinter dem Zelt –, und gegen Ende des Oktoberfests konnte er dann nur noch sehr undeutlich sprechen, weil ihn eine durchgedrehte Bierzeltfurie im Vollsuff in die Unterlippe gebissen hatte – der freundliche Otto hatte fälschlicherweise angenommen, sie wolle ihm einen Kuss geben.
    In die Westend-Zeit fiel auch die Episode mit dem Wiener Freund, der extra für einen Wiesnbesuch nach München kam. Ich legte mich mächtig ins Zeug und klapperte mit ihm einen Nachmittag lang meine sämtlichen kulinarischen und schaustellerischen Geheimtipps ab, nur um danach von ihm zu hören, dass das alles wirklich leiwand sei, und ich solle ihn bittschön nicht falsch verstehen, aber eigentlich sei er auf die Wiesn gekommen, um »Exzesse« zu erleben. Okay, dachte ich, dann gehen wir halt ins Hofbräu-Zelt … wenn es damals auf der Wiesn Exzesse gab, dann dort.

    Keine Macht den Drogen
    Wir fanden ziemlich rasch einen Platz in einer vom Ordnungspersonal längst als unregierbar aufgegebenen Box, in der zwei stark angetrunkene Italiener (deren erste Vorhuten hatten die Wiesn inzwischen erreicht) immer wieder unter den Tisch rutschten, um dann, über beide Ohren grinsend, wieder zurück auf die Bank zu krabbeln. Von hier aus konnte mein österreichischer Freund wunderbar beobachten, wie draußen im »Schiff« bei den Stehtischen die Post abging. Damals hatten sich dort Neuseeländer und Australier einen ambitionierten Wiesnsport ausgedacht: Irgendwann, wenn gerade keine Bedienung in der Nähe war, kletterte einer von ihnen auf den Tisch und fing an, sich unter dem anfeuernden Gejohle seiner Landsleute in affenartiger Geschwindigkeit die Kleider vom Leib zu reißen und im hohen Bogen in die Menge zu schleudern. Es ging darum, den Striptease zu vollenden, bevor die von überall her herbeieilenden Ordner den Tisch erreicht hatten. So viel Sportlichkeit nötigte meinem Wiener große Hochachtung ab, und gebannt verfolgte er, wie Jeans, T-Shirt und ein offenbar frisch erstandener Seppl-Hut ihren Weg in die Hände johlender Groupies fanden. Als dann zum Abschluss ein giftgrüner Slip durch die damals noch rauchgeschwängerte Luft des Bierzelts flog, wäre der Schlachtenbummler aus Österreich bestimmt in frenetischen Applaus ausgebrochen, hätte der splitternackte Stripper nicht angefangen, seine biergefüllte Blase mit einem dümmlichen Grinsen auf den Lippen direkt in die Masskrüge seiner ihm zujubelnden Freunde zu entleeren. In diesem Augenblick stimmte die Kapelle ein Prosit der Gemütlichkeit an, die Neuseeländer rissen automatisch die Krüge an den Mund, und meinem Wiener Freund fiel vor Entsetzen ein jüngst eingesetztes Zahnprovisorium in seine gerade erst angetrunkene Mass. So viel zum Thema Exzesse.
    Inzwischen bewege ich mich nach längerer Wiesn-Abstinenz (die Verwandlung des Volksfests in einen auf Monate im Voraus durchreservierten Catwalk für die Träger Realität gewordener Trachten-Albträume habe ich vornehmlich aus der Entfernung beobachtet) in einer ganz anderen Oktoberfestwelt. In der Welt der Privilegierten, die mit dem schamanischen Token im Voraus verteilter Armbänder oder allein durch die Nennung eines magischen Namens durch Hintereingänge in die Zelte schlüpfen. Wenn ich heute auf die Wiesn gehe, werde ich in »Boxen« eingeladen, die inzwischen eher ins Bierzelt hineingeschachtelten Separatgaststätten gleichen, mit eigenen Bedienungen, eigenen Klos und Raucherkäfigen und eigenen Sicherheitsgorillas, deren einzige Aufgabe es ist, nur ja niemanden aus der tobenden
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