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Dahoam is ned dahoam - Bayerische Ein- und Durchblicke

Dahoam is ned dahoam - Bayerische Ein- und Durchblicke

Titel: Dahoam is ned dahoam - Bayerische Ein- und Durchblicke
Autoren: Helmut Schleich
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schnuppern, die Virginier umständlich anzünden und sie dann mit langsamen, bedächtigen Zügen eine gefühlte Ewigkeit lang rauchen. Ich stapfte an der Hand meiner Mutter an verlockenden Schaubuden vorbei, für die ich »noch zu klein« war – dabei hätte mich doch brennend interessiert, wie die eine Frau zwei Köpfe und die andere keinen Unterleib haben konnte. In die »Traumstadt Liliput«, wo man in mit winzigen Möbeln ausstaffierten Zirkuswagen kleine Menschen anschauen konnte, die einfach nur dasaßen und irgendwelche banalen Dinge taten, durfte ich hingegen schon hinein. Noch Wochen später waren mein Bruder und ich uns einig, dass diese Liliputaner das große Los gezogen hatten. So klein wie wir und doch schon erwachsen zu sein und dann auch noch auf dem Oktoberfest wohnen zu dürfen, mitten in einer Welt, die für uns vornehmlich ein real gewordenes Schlaraffenland aus Magenbrot, gebrannten Mandeln und türkischem Honig war.
    Der nächste Wiesnsplitter: als junger Erwachsener, den Motorradführerschein seit ein paar Monaten in den Händen, in einem halb leeren Zelt vor einer Mass Märzenbier, dessen Rückstände den Krug am Tisch kleben ließen. Hätte es damals das Wort »uncool« schon gegeben, dann hätte es auf die Wiesn hundertfünfzigprozentig zugetroffen. Aber genau das war es, was uns anzog, diese spießige, muffige, angestaubte Wunderwelt eines irgendwie ins Abseits geratenen Volksfestes, für das jeder halbwegs hippe Mensch nur ein müdes Lächeln übrighatte. Es gab zu dieser Zeit auch noch keine Invasionen italienischer Wohnmobile, und wer auf der Wiesn Tracht trug, war entweder ein Hinterwäldler vom Land oder nicht ganz richtig im Kopf.
    Ich weiß noch, dass ich bei diesem Wiesnbesuch mein Motorrad, eine alte Horex Regina, für eine lächerliche Summe aus einem Hinterhof herausgekauft – deutsche Motorräder aus den 50er-Jahren waren damals mindestens so out wie Wiesnbesuche –, unter einem Werbeplakat für Zigaretten abgestellt hatte, und als ich nach der Wiesn wieder damit nach Hause fahren wollte, war es zu meinem Entsetzen nicht mehr da. Geklaut? Von der Polizei weggebracht, weil auf dem Gehsteig abgestellt?
    Was machte man damals in so einem Fall? Man marschierte mit zwei Mass intus zurück auf die Wiesn, schnurstracks in den Behördenhof, der zu der Zeit noch keiner belagerten Festung glich, und fragte in der Amtsstube einen Polizisten, ob seine Kollegen vielleicht eine Horex abgeschleppt hätten. Und der Polizist antwortete, nachdem er sich über Funk vergewissert hatte, dass das nicht der Fall wäre, nur: »Du hast a Horex? Verkaffst du de?« Zu einer Antwort kam ich nicht mehr, denn in diesem Augenblick brachten zwei in schwarze Lederjacken gekleidete Kollegen einen heftig aus der Nase blutenden Mann und dessen Frau herein, die, kaum war sie auf der Wache, mit einem kleinen Regenschirm auf die Polizisten einzuprügeln begann. Der blutige Mann brüllte los wie ein angestochener Stier und rammte einem der Polizisten den Kopf in den Bauch, woraufhin dessen Funkgerät quer durch den Raum flog und mich nur knapp verfehlte. Blut spritzte, Chaos brach aus, Verstärkung wurde angefordert, und ich zog es vor, den Rückzug anzutreten. Meine Horex fand ich nach langer Suche unter einem anderen der unzähligen, gleich aussehenden Zigarettenplakate, mit denen die Gegend rings um die Wiesn zugekleistert war. Ich glaube, es war ein lassoschwingender Cowboy drauf. Auf eine friedliche Wiesn hat damals meines Wissens übrigens kein OB angestoßen.
    Viele Jahre später, als ich eine Wohnung im Westend hatte, wurde die Wiesn dann ein Teil meines Alltagslebens. Wenn man schon jeden Morgen vor der Haustür mit den weniger appetitlichen Hinterlassenschaften des Oktoberfests konfrontiert wurde, wollte man wenigstens von der Tatsache profitieren, dass man die Wiesn in ein paar Minuten zu Fuß erreichen konnte. In dieser Zeit stellten meine damalige Freundin und ich das häusliche Kochen komplett ein und machten die Wiesn zu unserer Kantine. Wir wussten genau, an welchem Standl es die besten – noch nicht aus gefroren importierten Teiglingen aufgebackenen – Brezn gab, und hätten jederzeit Gourmetsterne für Münchner Fast Food in Form von Bratwürsten, Emmentaler, Ochsensemmeln und Steckerlfisch vergeben können.
    In dieser Zeit freundeten wir uns bei unseren täglichen Wiesnbesuchen mit dem Otto an, einem Chemieingenieur aus Burghausen, der sich zur Oktoberfestzeit extra zwei Wochen Urlaub nahm, um
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