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Dämonisches Tattoo

Dämonisches Tattoo

Titel: Dämonisches Tattoo
Autoren: B Melzer
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Minuten – oder waren es Stunden? – ihres Lebens durchgemacht haben musste. Auch wenn ihr Blick längst gebrochen war, spiegelte sich das Grauen noch immer in ihren aufgerissenen Augen wider. Doch Furcht allein war nicht der Grund für ihre offenen Augen, sondern derselbe blaue Faden, der auch ihre Lippen versiegelte. Ihr Mörder hatte ihr die Lider festgenäht, sodass sie ihren Peiniger hatte ansehen müssen, während der ihr das Leben durch unzählige kleine Schnitte und eine punktierte Halsvene aus dem Leib rinnen ließ.
    Chase atmete tief durch, zwang die Luft in seine Lungen und hatte trotzdem das Gefühl, nicht genug davon zu bekommen. Es war dasselbe Bild wie an jedem Tatort, doch ganz gleich, wie oft er es auch zu sehen bekam, es verlor niemals etwas von seinem Schrecken. Besonders nicht heute.
    Was er hier sah, war das Ergebnis von Franks Starrsinn. Chase und alle anderen hatten ihm nach dem letzten Mord dringend davon abgeraten, mit einer Erklärung vor die Presse zu treten, die den Täter als kranken Perversen bezeichnete, den seine eigene Dummheit bald zu Fall bringen würde. Frank jedoch hatte sich nicht beirren lassen. Er war sicher gewesen, den Schlitzer mit dieser Aussage dazu zu bewegen, etwas Unüberlegtes zu tun. »Dann haben wir ihn!«, hatte er mit leuchtenden Augen gesagt und kurz darauf die Erklärung verlesen, deren Veröffentlichung ihm von seinem Vorgesetzten untersagt worden war. Er war so besessen davon, diesen Mann endlich zu fassen zu bekommen, dass er sich auch von einem Disziplinarverfahren und einem Eintrag in seiner Personalakte nicht davon abhalten lassen wollte.
    Scheiße, Frank! Warum hast du nicht auf mich gehört?
    »Zu viele Fotos dieser Art«, brummte Ben und fuhr sich mit der Hand durch das halblange braune Haar. »Das häuft sich in der letzten Zeit viel zu sehr.«
    »Damit will er uns seine Überlegenheit zeigen.«
    Ben sah auf. Seine braunen Augen wirkten im Gegenlicht beinahe schwarz, zwei dunkle Tümpel voller Skepsis. »Sie denken, das soll eine Nachricht an die Cops sein?«
    »An die Cops und jeden, der bereit ist, sie zu sehen.«
Und ganz besonders an den, der ihn herausgefordert hat.
    »Das kann doch nicht Ihr Ernst sein.« Er ließ seine Kamera sinken und starrte Chase an, als hätte er einen Geist gesehen. »Sie glauben tatsächlich, dass ich diese Scheiße wieder und wieder fotografieren muss, weil dieser Kerl nicht weiß, wie man einen Notizzettel benutzt?«
    »So ähnlich.« Summers’ Fragen und Kommentare glichen sich an jedem Tatort, als versuche der Fotograf herauszufinden, was diesen Mann antrieb. Für ihn schien das ein Ventil zu sein, um mit dem fertigzuwerden, was er mit seiner Kamera festhalten musste. Ben Summers gehörte zu einer kleinen Gruppe von Freiberuflern, die für die Polizei arbeiteten und täglich an die Tatorte gerufen wurden, um dort die notwendigen Fotos zu schießen. Es mochte ein Weg sein, sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen, doch es war auch ein immer wiederkehrender Kampf mit Anblicken wie diesem.
    »Er zieht eine gewisse Befriedigung aus seinen Taten«, fuhr Chase fort, »was die Spiegel beweisen, aber wichtiger als das ist ihm vermutlich das Spiel mit der Polizei. Die Sorgfalt, die er bei jedem seiner Morde walten lässt, ebenso wie die Zeit, die er sich nimmt, sollen uns zeigen, wie sicher er sich fühlt. Jede Leiche ist gleichzeitig eine Nachricht an uns, die uns sagen soll, dass wir keine Gegner für ihn sind. Er fühlt sich uns überlegen.«
    »Wenn ich bedenke, wie oft ich schon die Sauerei fotografieren musste, die er uns hinterlassen hat, ist er das wohl auch.«
    »Irgendwann macht er einen Fehler«, mischte sich Doug Edwards ein, der hinter Chase in den Raum gekommen war. »Dann haben wir ihn.« Wie seine Kollegen trug der Gerichtsmediziner einen weißen Schutzanzug.
    Chase wandte sich dem Arzt zu. »Die übliche Vorgehensweise?«
    Dr. Edwards nickte bedächtig. Er zog die Schutzbrille von den Augen und ließ sie am Gummiband um seinen Hals baumeln, eine Strähne seines vorzeitig ergrauten Haars lugte unter der Kapuze seines Schutzanzugs hervor. »Punktierte Venen an zwei Stellen. Unzählige weitere Schnitte, nicht tief genug, um tödlich zu sein, und zwei Einstiche am Hals – vermutlich wieder einer für das Betäubungsmittel, der andere für das Antigerinnungsmittel.«
    Er verletzte niemals lebenswichtige Arterien, sondern hielt sich stattdessen an die daneben liegenden Venen. Das, in Kombination mit dem
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