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Dämonenherz

Dämonenherz

Titel: Dämonenherz
Autoren: Julia Talbot
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ein paar Schritte weiter zu einem stuckverzierten Altbau. Hier war es. Die riesigen Schaufenster waren mit Papier verhängt, und ihre hochglanzpolierten Messingrahmen mussten ein Vermögen gekostet haben. In ihnen schimmerte ihr Spiegelbild. Sie beugte sich vor und unterzog es einer letzten Prüfung. Sandy-Miststück-hat-es-geschafft trifft Anna-Loser-versuchtes-immer-noch. Wer von ihnen beiden hatte sich wohl mehr verändert?
    Anna sah in ein herzförmiges Gesicht, umrahmt von den Resten einer Hochsteckfrisur. Zu Hause vor dem Spiegel hatte das alles auch noch ganz gut ausgesehen. Sehr edel, sehr elegant. Die Frisur hatte ihre hübschen Wangenknochen betont, ließ sie aber ernster aussehen, als sie eigentlich war. Ihr Teint war noch immer makellos, obwohl sie im letzten Jahr ihren dreiunddreißigsten Geburtstag gefeiert hatte, deshalb hatte sie auf Make-up verzichtet und nur einen Hauch von Rouge aufgelegt. Eigentlich war es zu kalt, um ohne Mantel aus dem Haus zu gehen. Doch Anna hatte sich nach einem Blick in den strahlend blauen Himmelgegen ihn entschieden. Den voluminösen Dufflecoat hatte sie drei Winter hintereinander getragen, jetzt war es einfach genug. Stattdessen hatte sie ihren beigen Pashmina-Schal um die Schultern geschlungen, eine Farbe, die ihrem Gesicht schmeichelte und dem strengen Hosenanzug gleich eine viel weiblichere Note verlieh.
    So hatte sie ihren Auftritt geplant. Aber der Mensch denkt, und der Wind lenkt. Anna sah aus wie ein Wischmopp. Hastig versuchte sie, die gelösten Strähnen wieder zu befestigen. Vergeblich. Schließlich zog sie die Klammern aus dem Haar und ließ die Haare offen auf die Schultern fallen. Sie lächelte. Sofort strahlten ihre Augen, die kleinen Lachfältchen zeigten sich. Sie hatte einen dezenten braunen Lidschatten aufgelegt und dazu einen rosenholzfarbenen Lippenstift gewählt. An den Ohren trug sie Perlenstecker – eine Erinnerung an ihre Mutter, und plötzlich war es, als ob sie ihre Stimme hören könnte: Kopf hoch, Kleines. Du schaffst das! Anna blinzelte, als ob ihr ein Staubkorn in die Augen geflogen wäre. Natürlich schaffe ich das, dachte sie. Es hängt ja nichts weiter als meine Zukunft davon ab.
    Sie atmete noch einmal tief durch. Das hier war das Leben, nicht der Pausenhof. In wenigen Augenblicken würde sie der Frau gegenüberstehen, die ihr die Schulzeit zur Hölle gemacht hatte. Sandy, die unangefochtene First Lady der Klasse. Bei ihr konnte man nicht anders, als einen ausgesprochenen Minderwertigkeitskomplex zu entwickeln. Aber Sandy hatte offenbar ganz andere Erinnerungen an ihre gemeinsame Zeit. Am Telefon hatte sie geklungen, als sei Anna damals ihr Ein und Alles gewesen. Und sie gebeten, ein PR-Konzept für ihre neue Galerie auszuarbeiten. Wenn möglich bis gestern, hatte sie gesagt und dann ihr berühmtes silberhelles Lachen erklingen lassen, an das sich Anna noch so gut erinnern konnte.
    Sie stemmte sich gegen den Wind und zog unter Aufbietung all ihrer Kräfte die schwere Messingtür auf. Ein Schwall frische Luft wehte sie in die hellen, fast leeren Ausstellungsräume. Zwei jungeMänner trugen gerade ein überdimensional großes Bild in die hintere Ecke des Raumes. Anna kniff die Augen zusammen und versuchte zu erkennen, was darauf abgebildet sein könnte. Aus der Entfernung sah es aus, als habe man auf der Leinwand ein Schwein geschlachtet. Aber vielleicht hielten sie das Werk auch einfach nur falsch herum.
    »Anna!«
    Eine große, elegante Frau mit glattglänzendem, platinblondem Pagenschnitt eilte ihr entgegen. Allein für diese Haare wurden Frauen in anderen Kulturkreisen früher skalpiert. Sie trug ungefähr zwanzig Zentimeter hohe Absätze, ein knallenges graues Kostüm, das trotz seiner Strenge umwerfend sexy wirkte, und hatte genau den Hauch an Untergewicht, den Anna zu viel auf den Hüften hatte. Sandy-Sandrine sah umwerfend aus, und sofort fühlte sich Anna wieder genau so, wie sie befürchtet und sich strengstens verboten hatte: in jeder Hinsicht unterqualifziert.
    Die Galeristin breitete die Arme aus und küsste Anna flüchtig auf beide Wangen.
    »Gut siehst du aus«, sagte sie und lächelte dabei selbstzufrieden. Anna war sicher, dass sie log. Sandrine wirkte, als hätte sie gerade einen Wellness-Urlaub auf Sri Lanka hinter sich. Ihr Gesicht war glatt wie ein Baggersee bei Windstille, und kein Mensch hätte sie älter als Anfang zwanzig geschätzt. Sie sah exakt so aus wie auf der Abiturfeier, als man sie mit dem Referendar in
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