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Dämmerschlaf - Roman

Dämmerschlaf - Roman

Titel: Dämmerschlaf - Roman
Autoren: Edith Wharton
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zitterte beim Gedanken an Nona – Nona und das Kind! Sie schliefen allein mit dem Kindermädchen in einem anderen Flügel des Hauses. Und plötzlich hallte das Haus, erschien ihr so riesig, so lee r …
    Im halbdunklen Flur vor ihrem Zimmer machte sie wieder einen Augenblick halt und wartete auf einen wegweisenden Laut, dann rannte sie los, drückte die Schwingtür auf, die den äußeren Flügel von dem ihren trennte, und drehte unterm Laufen mit fliegender Hand die Lichter a n … Auf den mit dicken Teppichen belegten Fluren erzeugten ihre Schritte kein Geräusch, und sie hatte das Gefühl, dass sie lautlos über den Boden glitt, wie etwas Geisterhaftes, Körperloses, das nicht die Kraft besaß, das Schweigen zu durchbrechen und sich bemerkbar zu mache n …
    In der Mitte des Flurs angelangt, sah sie erschrocken, dass Litas Schlafzimmertür einen Spalt offen stand. Endlich Geräusche – es drangen leise, wirre, verängstigte Geräusche aus dem Zimmer. Was für Geräusche? Pauline erkannte sie nicht, sie wirbelten ihr in rasendem Tempo durch den Kopf. Sie hörte sich selbst «Hilfe!» schreien, mit der erstickten Stimme eines vom Albtraum Gepeinigten, und bemerkte erleichtert eilige Schritte hinter ihrem Rücken: Powder, die Diener, die Mädchen. Gott sei Dank, die Anlage funktionierte! Was sie auch erwarten mochte, es war jemand da, der ihr beistan d …
    Sie erreichte die Tür, wollte sie aufdrücken – und stieß auf unerwarteten Widerstand. Irgendjemand stemmte sich von innen dagegen und kämpfte darum, dass sie nicht weiter geöffnet wurde, wollte verhindern, dass Pauline eintrat. Sie warf sich mit aller Kraft gegen die Tür und erkannte durch den Spalt den Arm und die Hand ihres Mannes. «Dexter!»
    «O Gott.» Er wich zurück und die Tür mit ihm. Pauline ging hinein.
    Alle Lichter brannten, es war blendend hell im Zimmer. In einer Ecke stand zitternd und stieren Blicks ein zweiter Mann, aber Pauline achtete nicht auf ihn, denn vor ihr auf dem Boden lag Litas langer Leib, in einem losen, paillettenbesetzten Kleid schluchzend hingestreckt über einem weiteren Körper.
    «Non a … Nona!», schrie die Mutter und stürzte auf die beiden Mädchen zu.
    Sie flog an ihrem Mann vorbei, riss Lita zurück, fiel auf die Knie, drückte ihr Kind an sich und presste Nonas hängenden Kopf gegen ihre Brust. Nonas Blut bespritzte das silberne Gefältel ihres Ruhekleids und machte es als Symbol der Sicherheit und Gelassenheit für immer unbrauchbar.
    «Non a … Kind! Was ist passiert? Bist du verletzt? Dexte r … um Himmels willen! Nona, schau mich an! Ich bin’s, Mutter, Liebling, Mutte r …»
    Nonas Augen öffneten sich flatternd. Ihr Gesicht war aschfahl und ausdruckslos wie das eines Neugeborenen. Langsam erwiderte sie den gepeinigten Blick ihrer Mutter. «Alles in Ordnun g … nur am Arm getroffen.» Ihr Blick taumelte durch den verwüsteten Raum, hob und senkte sich wie ein Schmetterling in seinem wirren Flug. Lita lag in ihren Pailletten zusammengekauert auf dem Sofa, verdreht und leer wie ein Festgewand, das die Trägerin beiseitegeworfen hatte. Dazwischen stand Manford, den Weltuntergang im Gesicht. In der Ecke wartete noch immer der andere Mann, eingefallen, reglos. Paulines Blick folgte dem ihres Kindes und landete bei ihm.
    «Arthur!», stieß sie keuchend hervor und fühlte Nonas schwachen Druck auf ihrem Arm.
    «Nich t … nich t … Es war ein Unfall. Vate r … ein Unfall! Vater!»
    Die Zimmertür war jetzt sperrangelweit geöffnet, und auf der Schwelle stand Powder, unnatürlich dünn und hager in seinem improvisierten, kragenlosen Gewand. Er dirigierte die gaffenden Kammerdiener, Gärtner, Chauffeure und Mädchen, die sich hinter ihm auf dem Flur drängten. Es war wirklich erstaunlich, wie gut Paulines Anlage funktioniert hatte.
    Manford wandte sich Arthur Wyant zu, das versteinerte Gesicht weiß vor Rachsucht. Wyant stand noch immer regungslos und mit hängenden Armen da, alle Kraft war aus seinem Körper gewichen, und über seine feuchten Lippen stolperte ein gestammeltes Wort, das wie «Ehre» klang.
    «Vater!» Auf Nonas schwachen Ruf hin fiel auch Manfords Arm herab, und er stand ebenso kraftlos und regungslos da wie der andere.
    «Alles ein Unfal l …», hauchten die weißen Lippen vor Pauline.
    Powder war nach vorn getreten. Im Stakkato befahl er über seine Schulter: «Ruft den Arzt an! Fahrt ein Auto vor! Durchsucht den Garten! Eine von den Frauen hierher! Das Mädchen von Madam!»
    In diesem
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