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CyberCrime

CyberCrime

Titel: CyberCrime
Autoren: M Glenny
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des Geistlichen. Der Beamte hatte das Gefühl, im Treibsand eines Falles zu versinken, der nach seiner Einschätzung gewaltige Ausmaße hatte und ihn vor ein scheinbar unüberwindliches Problem stellte: Er begriff ihn einfach nicht. Die bisher gesammelten Indizien bestanden aus Hunderttausenden von Dateien, manche davon so groß, dass Shakespeares sämtliche Werke 350 Mal darin Platz gehabt hätten. Innerhalb der Dokumente befand sich eine riesige Bibliothek aus Zahlen und Botschaften in einer Sprache, die für nahezu niemanden zu entschlüsseln war – mit Ausnahme einer winzigen, auf der ganzen Welt verteilten Elite derer, die mit der Geheimsprache der Cyberkriminalität vertraut waren.
    Der DS Dawson wusste vielleicht nichts über diesen neuartigen, hoch spezialisierten Zweig der kriminalistischen Arbeit, aber er war ein erstklassiger Mordermittler mit der Erfahrung von zwanzig Dienstjahren. In den endlosen Listen und Zahlenreihen erkannte er eine Datensammlung, die sich nicht im Besitz einer einzigen Person befinden sollte.
    Aber er machte die gleiche Erfahrung wie Polizeibeamte in vielen Regionen der Erde während des ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts: Auf eine Informationssammlung wie diese zu stoßen, war das eine. Sie mit einem bestimmten Verbrechen in Zusammenhang zu bringen, war ganz etwas anderes.
    Wenn der DS Dawson einen Richter in der schläfrigen Kleinstadt Scunthorpe an der Mündung des Humber davon überzeugen wollte, dass der Verdächtige in Untersuchungshaft zu nehmen war, musste er glasklare Indizien für ein ganz bestimmtes Verbrechen vorlegen. Außerdem bestand immer die realistische Möglichkeit, dass er seine Indizien einem tatterigen alten Amtsrichter vorlegen musste, der kaum eine Fernseh-Fernbedienung handhaben konnte, vom Abruf von E-Mails ganz zu schweigen. Überzeugungskraft reichte nicht aus – der Fall musste wasserdicht und so einfach sein, dass jeder ihn verstehen konnte.
    Die Zeit lief ihnen davon. Sie durften den Verdächtigen nur drei Tage festhalten, und zwei davon waren bereits vorüber. Inmitten der Dateien, Zahlen, Weblogs und wer weiß was noch alles hatte Dawson nur einen einzigen kleinen Anhaltspunkt.
    Er starrte auf die fünfzig Wörter auf einem A4-Blatt. Unter anderem standen dort die Kontonummer 75377983, das Datum des 24. 2. 2006, an dem das Konto eröffnet worden war, und der Saldo von 4022,81 britischen Pfund. Außerdem waren dabei: ein Name – Mr. A. A. John; eine E-Mail-Adresse: STPAULS @ LEGEND.CO.UK; eine Postadresse: 63 St. Paul’s Road, Manningham, Bradford; ein Anmeldename und – am wichtigsten – ein Anmelde-Passwort: 252931.
    Wenn er die Identität des Kontoinhabers bestätigen konnte und wenn der Mann erklärte, er habe nie wissentlich sein Passwort preisgegeben, konnte Dawson den Richter wahrscheinlich davon überzeugen, Anklage zu erheben und eine Freilassung gegen Kaution abzulehnen. Das würde dem Detective Sergeant gerade so viel Zeit verschaffen, dass er genau begreifen konnte, womit er es hier eigentlich zu tun hatte.
    Dawson hatte versucht, mit Mr. A. A. John Kontakt aufzunehmen. Dabei hatte er erfahren, dass es sich um einen Geistlichen der anglikanischen Kirche handelte, der mit einer Gruppe benachteiligter Kinder eine Ferienreise durch Indien machte. Außerdem erklärte man ihm, John sei erst nach seiner Rückkehr aus Delhi wieder erreichbar. Der Reverend sollte ankommen, wenige Stunden bevor der Verdächtige freigelassen werden konnte. Wenn Dawson sich nicht durchsetzte, würde der Treibsand des Falles den Ozean der Daten verschlingen, auf den er gestoßen war. Der Verdächtige würde zweifellos zusammen mit den Daten wieder in der Anonymität seines virtuellen Alter Ego verschwinden.
    Dawson hatte Pech: Der Reverend John war nach dem Telefongespräch mit seiner Frau so beunruhigt, dass er sich entschloss, sich erst nach seiner Ankunft in seiner Kirchengemeinde Manningham mit der Sache auseinanderzusetzen. Er hatte sogar sein Handy ausgeschaltet und konzentrierte sich auf die lange Autofahrt vom Flughafen.
    Warum war er so verärgert?
    Kurz und knapp gesagt, war der Reverend John ein jovialer Mann. Er war am Rand der Thar-Wüste in Rajasthan geboren, und sein leicht sechseckig geformtes Gesicht strahlte in der Regel hinter den professoralen Brillengläsern wie die Sonne. In Indien hatte er zur christlichen Minderheit gehört, und nachdem er Priester geworden war, hatte er 15 Jahre lang in Delhi bei der anglikanischen Kirche Indiens
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