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CyberCrime

CyberCrime

Titel: CyberCrime
Autoren: M Glenny
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die beteiligten Personen und ihre Taten aus. Der Bericht stützt sich natürlich im Wesentlichen auf ihre persönlichen Erinnerungen, die über mehr als zehn Jahre zurückreichen. Neben der allgemein bekannten Fehlbarkeit des menschlichen Gedächtnisses verfolgten alle Beteiligten auch eigene Ziele – sie bemühten sich darum, manche Teile ihrer Tätigkeit bei DarkMarket herauszustellen und andere zu verbergen. Dabei half ihnen die doppelzüngige Kommunikation im Internet, eine Kultur, in der es kaum Sanktionen gegen Lügen und Heuchelei gibt.
    Meine Bemühungen, einzuschätzen, wann ein Befragter log, seinen Bericht ausschmückte oder wild fantasierte und wann jemand ernsthaft die Wahrheit sagte, waren nur teilweise erfolgreich. Alle, die ich befragte, strotzten vor Intelligenz, auch wenn manch einem der moralische Kompass fehlte, der notwendig ist, wenn man in den Strudeln der Cyberkriminalität navigieren will. Als ich aber immer tiefer in die seltsame Welt von DarkMarket eindrang, wurde mir schnell klar, dass all die verschiedenen Versionen, die mir über die Historie der Website erzählt wurden, widersprüchlich und unvereinbar waren. Vollständig aufzuklären, was zwischen den Beteiligten wirklich ablief und mit wem sie letztlich zusammenarbeiteten, erwies sich als unmöglich.
    Das Internet hat unvorstellbar riesige Mengen von Daten und Informationen erzeugt; ein großer Teil davon ist wertlos, ein ebenso großer Teil ist bis heute nicht ausgewertet oder bearbeitet worden, und nur ein kleiner Anteil dient kriminellen Zwecken und ist deshalb gefährlich. Wegen unserer wachsenden Abhängigkeit von Computern und wegen der Verknüpfungen, die hoch spezialisierten Hackern und Geheimdienstagenten das Hin und Her zwischen Verbrechen, Industriespionage und Cyberkriegsführung ermöglichen, ist der Versuch, die Geschichte von Phänomenen wie DarkMarket zu dokumentieren und zu verstehen, zu einer gesellschaftlich wichtigen Aufgabe geworden – auch wenn die Indizien oft einen tendenziösen Charakter aufweisen und nur bruchstückhaft vorliegen, verstreut sowohl über die virtuelle als auch die reale Welt.

ERSTES BUCH

Teil I

1 Der Anruf des Inspektors
    Yorkshire, England, März 2008
    Eines Morgens im März 2008 befand sich Reverend Andrew Arun John in einem leichten Schockzustand. Vorwerfen konnte man es ihm kaum. Er hatte nicht nur gerade eben die lange Reise von Delhi in der Holzklasse überstanden, sondern das auch noch wenige Wochen vor der Eröffnung des neuen Terminals 5 in Heathrow. Der belebteste internationale Flughafen der Welt setzte damals gerade neue Maßstäbe, was das Elend der Passagiere anging. Die Maschine war in Indien gegen drei Uhr morgens gestartet, und nachdem er die Passkontrolle sowie das Chaos bei der Gepäckausgabe hinter sich gebracht hatte, stand ihm noch eine vierstündige Autofahrt in nördlicher Richtung nach Yorkshire bevor.
    Als Reverend John sein Handy einschaltete, sah er eine ungewöhnlich große Zahl verpasster Anrufe von seiner Frau. Noch bevor er zurückrufen und sie fragen konnte, was denn so dringend war, rief sie schon wieder an. Sie berichtete, die Polizei habe schon mehrmals angerufen und sei erpicht darauf, mit ihm Kontakt aufzunehmen.
    Verdutzt und verwirrt gab der Reverend seiner Frau eine patzige Antwort. Er sagte, sie rede Unsinn – aber dann bereute er einen Ton sofort.
    Seine Frau war gern bereit, seinen Missmut zu übergehen. Mit einfachen, ruhigen Worten erklärte sie, die Polizei wolle ihn darauf aufmerksam machen, dass jemand in sein Bankkonto eingebrochen war. Die Angelegenheit sei dringend, und er solle so schnell wie möglich den verantwortlichen Beamten anrufen. Die Nummer hatte sie.
    Der Anruf beunruhigte den Reverend noch stärker; in seinem übermüdeten Gehirn überschlugen sich die Gedanken. »Welches Konto? Hier bei der Barclay’s Bank?«, vermutete er. »Das Konto bei der Standard Bank in Südafrika? Oder bei ICICI in Indien? Oder vielleicht alle drei?« Und was noch rätselhafter war: Was meinte sie eigentlich? »Wie kann jemand in ein Bankkonto einbrechen?«
    So kurz nach dem anstrengenden Flug machte die Sache den Reverend ängstlich und nervös. »Ich kümmere mich später darum, wenn ich in Bradford bin und mich ausgeruht habe«, murmelte er zu sich selbst.
    Bradford liegt rund 320 Kilometer nördlich vom Flughafen Heathrow. 100 Kilometer östlich der Stadt, in Scunthorpe, wartete das Team des Detective Sergeant Chris Dawson nervös auf den Anruf
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