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Cupido #1

Cupido #1

Titel: Cupido #1
Autoren: Jilliane Hoffman
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das, was der nicht gesagt hatte. Alles, was zwischen den Zeilen gestanden hatte.
    Er schaute zu, wie Special Agent Dominick Falconetti durch die schwere Eichentür hinausging, in den Wagen stieg und davonfuhr.

95.
     
     
    Die Tür ging auf, und gleißendes Licht erfüllte den Raum. Hinter sich hörte sie das Rasseln des Schlüssels.
    Er ging ans Waschbecken in der Ecke und wusch sich mit dem Rücken zu ihr die Hände. Neben dem Waschbecken stand der Wagen mit dem Besteck. Skalpelle, der Größe nach geordnet, Schere, Bolzenschneider, Nadeln, Pflaster, eine Braun'sche Kanüle, Rasierklingen und ein Infusionsbeutel. Er verbrachte mindestens fünf Minuten damit, sich wie ein Chirurg die Hände über dem Waschbecken zu schrubben, dann trocknete er sie sorgfältig mit Papierhandtüchern ab. Er öffnete eine Schublade unter dem Waschbecken, holte ein Paar sterile Gummihandschuhe aus einer Schachtel und zog sie über.
    «Es tut mir Leid, dass ich so spät komme», sagte er. «Ich bin in einer Sitzung stecken geblieben. Du denkst, du hättest Probleme. Du solltest mal hören, was die Leute da draußen mit sich herumschleppen. Schizophrene Siebzehnjährige, die mit dem Messer auf die eigene Mutter losgehen. Ist das denn zu fassen? Auf die eigene Mutter?»
    Er ging zum Stativ und warf einen Blick durch die Kamera. Er richtete das Objektiv auf ihr Gesicht. Sie starrte mit offenen Augen an die Decke. Dann drückte er auf den Auslöser. «Du bist bestimmt fotogen. Du hast ein wunderschönes Gesicht.» Er machte noch ein Foto, dann veränderte er den Ausschnitt, sodass jetzt der ganze Tisch mit aufs Bild kam.
    Dann wandte er sich dem Metallwagen zu und dachte einen Moment nach. Er griff wieder in die Schublade unter dem Waschbecken und holte einen frischen grünen OP–Anzug hervor. In der Ecke des Raums stand ein Stuhl. Er zog sich das Jackett aus und hängte es ordentlich über die Lehne, dann löste er die Krawatte und zog sich auch Hemd und Hose aus. Alles legte er ordentlich auf dem Stuhl zusammen. Während er in den Kittel schlüpfte, summte er vor sich hin.
    «Dein Freund war heute Morgen in der Praxis», sagte er, als er sich die lindgrünen Füßlinge über die Schuhe zog. «Dominick. Er wollte wissen, ob ich ihm helfen könnte. Ob ich wüsste, wo du vielleicht hingegangen bist, und mit wem. Er war traurig, nachdem er meine Meinung gehört hatte. Am Boden zerstört.»
    Er zog den Metallwagen an die Seite der Pritsche. Dann setzte er sich die OP–Haube auf.
    «Wusstest du, dass ich meine Assistenzzeit in der Chirurgie gemacht habe?» Dann sah er auf ihren Arm hinunter und runzelte die Stirn. Der Arm war nicht gefesselt. Er hatte vergessen, ihn wieder festzuschnallen, nachdem er ihr die Spritze gegeben hatte. Er hob ihn an und ließ ihn los, mit einem dumpfen Geräusch fiel er auf den Stahltisch.
    Sie murmelte etwas, das er nicht verstand. Sinnlose Laute. Tränen liefen ihr seitlich über das Gesicht, ins Haar.
    Es war wirklich schade. Dieses wunderschöne Exemplar, sein Work–in–progress. Dabei hatte er gedacht, dass er dem Ende mit einem Hochgefühl entgegensehen würde, Freude darüber empfinden würde, seine Hypothese bestätigt zu sehen. Doch als Bill zum Tode verurteilt wurde, als das Spiel aus war und nur noch der letzte Zug vollstreckt werden musste, war er – er war tatsächlich unglücklich. Er hatte das Experiment von Anfang an geplant; seit Bill vor drei Jahren in die Praxis spaziert kam, mit einem Koffer voller Probleme, vom Pech verfolgt und ohne eine Menschenseele, mit dem er sprechen konnte. Nur der gute Onkel Doktor hatte Bills Geifern und Wettern gegen die Welt zugehört. Zugehört, was für Scheußlichkeiten Bill all den netten Frauen über die Jahre angetan hatte. Und er hatte verstanden. Hatte gleich gewusst, dass Zufälle zwar selten sind, aber doch vorkommen. Und in diesem Moment wusste Dr. med. Dipl.–Psych. Gregory Chambers, dass er die zwei idealen Exemplare für das außergewöhnlichste Experiment der Geschichte der modernen Psychiatrie gefunden hatte. Und auch wenn er schon früher mit dem Tod experimentiert hatte, lange vor den Sitzungen mit der depressiven C. J. oder dem narzisstischen Soziopathen Bill – diese ersten Versuche waren einfach nur läppisch gewesen. Man hatte die Versuchskaninchen noch nicht einmal vermisst. Ihr Tod war unbedeutend, belanglos. Doch das hier, das Experiment, war eine wahrhafte Sinfonie. Er dachte an den Kitzel, die Aufregung, als er damals den Entschluss
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