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Cryptonomicon

Cryptonomicon

Titel: Cryptonomicon
Autoren: Neal Stephenson
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Quadratwurzel von minus eins und Quaternionen herumzuhantieren, hatten sie es nicht mehr mit Dingen zu tun, die man in Stöcke und Kronenkorken übersetzen konnte. Und trotzdem bekamen sie vernünftige Ergebnisse.«
    »Oder jedenfalls in sich konsistente Ergebnisse.«
    »Okay. Und das hieß, die Mathematik war mehr als eine Physik der Kronenkorken.«
    »Es schien jedenfalls so, Lawrence, aber damit stellte sich die Frage, war die Mathematik wirklich wahr oder war sie nur ein mit Symbolen gespieltes Spiel? Mit anderen Worten – geht es uns um die Entdeckung von Wahrheit oder bloß um Wichserei?«
    »Sie muss wahr sein, denn wenn man Physik damit betreibt, funktioniert alles. Ich habe von dieser allgemeinen Relativitätsgeschichte gehört, und ich weiß, dass man Experimente gemacht hat und festgestellt hat, dass sie stimmt.«
    »Die Mathematik lässt sich größtenteils nicht experimentell überprüfen«, sagte Rudi.
    »Das Projekt zielt ja gerade darauf ab, die Verbindungen zur Physik zu kappen«, sagte Alan.
    »Und trotzdem nicht herumzuwichsen.«
    »Das war das Ziel von P. M.?«
    »Russell und Whitehead haben sämtliche mathematischen Begriffe in einfache Dinge wie Reihen zerlegt. Von dort aus gelangten sie zu ganzen Zahlen und so weiter.«
    »Und Ziffern sind ganze Zahlen«, sagte Rudi.
    »Moment mal! Pi selbst ist keine ganze Zahl!«
    »Aber die Ziffern von pi kann man mit Hilfe bestimmter Formeln eine nach der anderen berechnen. Und die Formeln lassen sich so niederschreiben!« Alan kratzte Folgendes in den Staub:
    »Die Leibniz-Reihe habe ich verwendet, um unseren Freund zu besänftigen. Siehst du, Lawrence? Es ist eine Folge von Symbolen.«
    »Okay. Ich sehe die Folge von Symbolen«, sagte Lawrence widerstrebend.
    »Können wir dann weitergehen? Vor ein paar Jahren hat Gödel gesagt: ›He! Ratet mal, was passiert, wenn man diese Geschichte von wegen Mathematik als bloße Folgen von Symbolen akzeptiert.‹ Und er hat darauf hingewiesen, dass jede Folge von Symbolen – wie zum Beispiel genau diese Formel hier – sich in ganze Zahlen übersetzen lässt.«
    »Wie denn?«
    »Nichts Ausgefallenes, Lawrence – bloß simple Verschlüsselung. Willkürlich. Anstelle dieses großen hässlichen Σ könnte man die Zahl ›538‹ hinschreiben, und so weiter.«
    »Das hört sich jetzt aber sehr nach Wichserei an.«
    »Nein, nein. Denn dann hat Gödel die Falle zuschnappen lassen! Formeln können auf Zahlen wirken, stimmt’s?«
    »Klar. 2x zum Beispiel.«
    »Genau. Für x kann man jede Zahl einsetzen und die Formel 2x verdoppelt sie. Wenn sich aber eine andere mathematische Formel, wie zum Beispiel diese hier zur Berechnung von pi, als Zahl verschlüsseln lässt, dann kann man eine andere Formel darauf wirken lassen. Formeln wirken auf Formeln!«
    »Ist das alles?«
    »Nein. Dann hat er, im Grunde mit einem ganz einfachen Argument, gezeigt, dass es, wenn Formeln sich wirklich auf sich selbst beziehen können, möglich ist, eine hinzuschreiben und zu sagen: ›Diese Aussage lässt sich nicht beweisen.‹ Was für Hilbert und alle anderen ungeheuer verblüffend war, denn sie hatten das gegenteilige Ergebnis erwartet.«
    »Hast du diesen Hilbert schon mal erwähnt?«
    »Nein, der ist neu in dieser Diskussion, Lawrence.«
    »Wer ist das?«
    »Ein Mann, der schwierige Fragen stellt. Einmal hat er eine ganze Liste davon gestellt. Gödel hat eine davon beantwortet.«
    »Und Türing eine andere«, sagte Rudi.
    »Wer ist das?«
    »Das bin ich«, sagte Alan. »Aber Rudi scherzt. In Wirklichkeit hat ›Turing‹ keinen Umlaut.«
    »Aber heute Nacht kriegt er einen Umlaut verpasst«, sagte Rudi und bedachte Alan dabei mit einem Blick, der, wie Lawrence Jahre später im Rückblick begriff, glühend war.
    »Nun mach es nicht so spannend. Welche von seinen Fragen hast du beantwortet?«
    »Das Entscheidungsproblem«, sagte Rudi.
    »Und das heißt?«
    »Hilbert wollte wissen«, erklärte Alan, »ob sich prinzipiell von jeder Aussage feststellen lässt, ob sie wahr oder falsch ist.«
    »Aber als Gödel fertig war, hatte sich die Fragestellung verändert«, sagte Rudi.
    »Stimmt – nach Gödel hieß es ›Können wir feststellen, ob eine bestimmte Aussage beweisbar oder nicht beweisbar ist?‹ Mit anderenWorten, gibt es eine Art mechanischen Prozess, mit dessen Hilfe wir die beweisbaren von den nicht beweisbaren Aussagen trennen könnten?«
    »›Mechanischer Prozess‹ ist als Metapher gedacht, Alan …«
    »Ach, hör auf, Rudi!
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